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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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ich den Namen Glennon ausgesprochen, unterbrach er mich mit den Worten: »Ich weiß, wie ihm zumute ist. Ich schätze ihn als Fachmann und auch als Mensch. Aber er hat sich einmal geirrt - und ich kann und darf nicht glauben, daß er sich ein zweites Mal nicht wieder irrt. Ich habe ihm erklärt, daß meine Entscheidung keine Kritik seiner Fachkenntnisse bedeutet. Aber ich kann nicht zulassen, daß eine augenblickliche Indisposition - zum Beispiel ein schlecht gekauter Keks im Magen - die ganze Expedition tödlich gefährdet. Meine Entscheidung widerrufe ich nicht - außer man würde dies von der Erdzentrale anordnen.«
    Dieser Nachsatz erschien mir wie ein hingeworfener Handschuh. Der Kapitän mußte genau wissen, daß die Erdzentrale seine Autorität durch das Widerrufen seiner Entscheidung als Kommandant nicht in Frage stellen würde. Es kam natürlich auch nicht in Frage, unsere unterschiedlichen Meinungen der Erdzentrale zu melden und die ohnedies schon schwierige Situation zu komplizieren.
    O'Brien erfaßte sofort die Situation und sagte: »Wozu diese Aggression, Kapitän? Wir wollen doch nicht Ihre Autorität untergraben. Wir sind doch keine Delegation für irgendeinen Rebellen. Schließlich hat Doktor Cosby das Recht, seine Meinung zu sagen.«
    Mir war klar, daß es von mir ein taktischer Fehler war, gemeinsam mit O'Brien zum Kapitän zu gehen. Deshalb sagte ich: »Kapitän, ich wäre sehr froh, wenn Sie unser Gespräch als eine private Unterredung betrachten würden. Mir geht es darum, nicht für den Haupttechniker Glennon, sondern für den Menschen Glennon etwas zu unternehmen.« »Was soll ich tun?« fragte der Kapitän. Seine Stimme klang noch immer aggressiv. »Soll ich mich vielleicht entschuldigen? Im Interesse irgendeiner falschen Sentimentalität, die einmal das Leben der ganzen Expedition kosten kann? Nein. Ich habe das Vertrauen verloren.«
    »Das haben Sie schon längst verloren, Norton, wenn Sie es überhaupt je hatten«, sagte O'Brien. »Die ganze Schwierigkeit liegt darin, daß Sie nur sich selbst glauben.« »Hören Sie, O'Brien, lassen wir das. Kommandieren auf einem interplanetaren Raumschiff und Philosophie, das paßt nicht zusammen.« »Ja, darin liegt der Fehler«, erwiderte O'Brien. Er war offensichtlich auch gereizt.
    »Wirklich, lassen wir das sein«, wiederholte ich. »Ich glaube, daß all diese Schwierigkeiten nur vorübergehend sind. Draußen, im Gelände, wenn die Expedition richtig zu leben beginnt, geht das alles vorüber.«
    Als wir mit O'Brien wieder allein waren, sagte er: »Machen Sie sich nichts draus, Cosby, ich glaube auch, daß alle Schwierigkeiten vorübergehend sind.«
    Ich hatte jedoch nicht das Gefühl, daß er wirklich daran glaubte. Er sah durch den Sehschlitz im Verbindungstunnel in die Tiefen, in denen kaum merkliche feurige Botschaften aus entfernten Welten aufblitzten. »Wichtig ist, durchzuhalten, auszuhalten«, sagte er. »Wissen Sie, einmal kam mir der seltsame Gedanke, daß unsere Welt, der Weltenraum, den wir als endlosen Raum empfinden, in dessen Leere unzählige Sonnensysteme und Planeten in genau bestimmten Kreisen und Ellipsen wirbeln, eigentlich nichts anderes ist als ein vergrößertes Bild des Mikrokosmos. Die scheinbar feste und dichte Materie des Tischbeins ist voll von Atomen, Protonen, Neutronen, die in der Leere der sogenannten Masse kreisen und wirbeln. Vielleicht ist das, was wir durch diesen Schlitz sehen, die Leere des Beins irgendeines großen Tisches, in dessen sogenannter Masse ganze Galaxien als Atome dieser Welt des großen Tisches kreisen, über dem sich ein weiteres großes Weltall als Bestandteil eines noch größeren Weltalls und noch größeren Tisches wölbt - und immer so weiter. Verstehen Sie, was ich sagen will? Von diesem Gesichtspunkt betrachte ich meine eigenen Sorgen.«
    »Ja, ich verstehe«, antwortete ich ihm. »Doch als Arzt muß ich Sie fragen, wie Ihnen das bei Zahnschmerzen hilft?« »Sie werden überrascht sein, es hilft«, sagte er lächelnd.
    Der Blick durch die Luke in die schwarze, tote Einöde ist so bedrückend, daß er in mir immer wieder das Gefühl absoluter Unbeweglichkeit erweckt; ein Konvoi von Raumschiffen, der in Raum und Zeit steckengeblieben ist. Nichts bewegt sich. Nur der Mechanismus in der Borduhr schiebt scheinbar sinnlos bedeutungslose Ziffern weiter. Man kann sich mit dem Verstand dagegen wehren. Doch zu jedem Sichwehren gehört eine bestimmte Dosis Willen. Je stärker der Angriff ist, desto

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