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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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auch wenn wir abwechselnd auf dem kleinen Anhänger sitzen würden. Mit dem Glück zu rechnen entspricht aber nicht dem Charakter des Kapitäns; er lehnt den Versuch, Sion zu erreichen, ab. Während unsere Luft mit jedem Atemzug abnimmt, erwägen wir fieberhaft die notwendige Menge von Glück und Risiko. Das Glück scheint uns nicht zu lieben, es ist leicht und verflüchtigt sich. Zum Schluß einigen wir uns auf die scheinbar vernünftigste Lösung; wir rufen die Gruppe O'Briens zu Hilfe. Während wir mit jeder Bewegung und jedem bißchen Luft sparen werden, kann die Gruppe O'Briens, geführt durch Signalraketen, die wir vom Kamm der Barriere abschießen, in fünf Tagen zu uns gelangen.
    Ich fahre mit dem lahmen Gray und dem Rest der Vorräte hinauf auf den flachen Kamm, wo die Gruppe lagern wird. Hinter uns schleppen sich langsam der Kapitän Norton, Compton und Sheldon. Sie zählen jeden Atemzug. Noch ehe die Sonne hinter der scharfen Silhouette des Horizonts untergeht, sind wir alle an der Stelle, wo wir nichts anderes zu tun haben werden, als zu liegen und Luft zu sparen. Da meldet sich O'Briens Gruppe. Ich glaube zu verstehen, weshalb der Kapitän will, daß ich mit O'Brien spreche. Gerade ihn um Hilfe bitten zu müssen, ist eine zu bittere Pille. Nach einer Weile aber begreife ich erst den wahren Grund. Nachdem ich O'Brien geschildert habe, in welcher Lage wir uns befinden und welche Aussichten wir haben, ersuche ich ihn, mit seiner Gruppe so schnell wir möglich zur Barriere zurückzukehren. O'Brien schweigt eine Weile und sagt dann mit ruhiger Stimme: »Cosby, auf diesen psychologischen Speck falle ich nicht herein. Denkt euch mit dem Kapitän etwas Glaubwürdigeres aus.« Dann bricht er die Verbindung ab. Noch eine ganze Stunde lang versuchen wir, irgendein Lebenszeichen in den Hörern wachzurufen, doch überall ist nur taube Wüste. Endlich meldet sich die Gelbe Eidechse wieder. Am Gerät ist McKinley. Er scheint erregt zu sein und will mit dem Kapitän sprechen. Ich verbinde das Kabel des Mikrophons mit dem Helm des Kapitäns. Doch sofort ist die Verbindung wieder unterbrochen. So endet auch dieser Versuch. Wir liegen zwischen Felsen, die im zarten Licht matt glänzen.
    Am Morgen sind wir entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen. Wir wollen versuchen, Sion zu erreichen. Da meldet sich die Gelbe Eidechse, und am Gerät ist O'Brien. Er will mit dem Kapitän sprechen. »Ich weiß, daß das alles ein raffinierter Schachzug ist, gut durchdacht, weil ich keine Möglichkeit habe, die Wahrheit zu überprüfen. Außerdem habe ich in der Gruppe keine Disziplin und keine Autorität. Ich kapituliere und übergebe das Kommando McKinley.« Dann meldet sich McKinley und fordert uns auf, genau nach fünfzehn Minuten Leuchtraketen abzuschießen. Er schätzt die Entfernung von der Barriere auf vierzig Kilometer Luftlinie. Bei klarem Wetter muß das Licht der Rakete zu sehen sein.
    »Nein«, antwortete der Kapitän, »wir müssen mit Raketen sparen.«
    »Gut«, sagte McKinley, »dann also erst am Abend.« »Heute nicht, wir müssen für den Fall von schlechtem Wetter sparen. Wir haben nur vierzehn Raketen.« »Das ist nicht so schlecht«, sagte McKinley. »Bei fünf Marschtagen sind das acht Raketen pro Tag. Wir werden uns bemühen, daß das genügt.«
    »Irrtum. Ich sagte nicht vierzig, sondern vierzehn. Das sind kaum drei pro Tag.«
    McKinley schweigt. Er weiß offenbar nicht, wie er uns trösten soll, deshalb unterbricht er die Verbindung.
    Wir liegen weiter zwischen den Felsen. In der dünnen, klaren Atmosphäre ist in der Ferne der Kamm der Barriere zu sehen, der mit seinen Felsen in das blaßviolette Firmament einschneidet. Staubige, formlos am Horizont verstreute Wüsten sind das tote Verzeichnis der einst nach Romantik duftenden Namen Aeria, Arabia, auf der anderen Seite Moa, Edom . . . Das alles trocknet die Kehle aus und knirscht zwischen den Zähnen wie Sand. Ich schließe die Augen, damit es verschwindet.
    Der folgende Tag verläuft ebenso. Weder in der Landschaft noch am Firmament ändert sich etwas. Während des Abendgesprächs mit der Gruppe O'Briens schießen wir die erste Rakete ab. McKinley sagt uns erfreut, daß er ihr grünes Licht sieht. Er stellt genau die Richtung im Gelände fest und verabredet die nächste Meldung. Da fällt mir ein, daß McKinley die Frage des Kapitäns nach den zurückgelegten Kilometern nicht beantwortet hat. Der Kapitän läßt sich nicht beirren und fragt von neuem. »Es

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