Die Erfinder des guten Geschmacks
berichtete die Zeitung Il Giornale , er würde Tiefkühlkost als frisch zubereitete Gerichte abrechnen. Selbst ganze Menüs kämen aus der Truhe, hieß es, dazu Tintenfisch, Stockfisch und vieles andere mehr. Tiefkühlkost jedoch muss in Italien mit einem Sternchen auf der Speisekarte gekennzeichnet werden. Starkoch Cracco verzichtete auf jegliche Stellungnahmen, Nachteile erlitt er dennoch nicht. Zwei Monate nach Veröffentlichung des Vorfalls nahm er Platz 33 auf der erwähnten Liste der San Pellegrino 50 Best Restaurants ein. Auch die beiden Michelin -Sterne behielt er.
Ebenfalls beliebt: Profiköche greifen neuerdings auf vorgefertigte »Bausteine« zurück, die sie in »kulinarischem Lego« neu zusammensetzen. Aus den Laboren von Unilever Food Solutions stammen etwa die Rezepte für extravagant klingende Gerichte wie »Lasagne von Seezunge mit Sushi-Gambas, Thaispargel auf Pastinakenpüree und Krustentier-Vanilleschaum« oder »pochiertes Rinderfilet mit geschäumter Gänseleber, Pak Choi und Vanille-Risotto«. Die Fachleute am Herd sollen dadurch zum Kauf von Knorr Aromat für Grill- und Pfannengerichte, Phase Butter Flavour, einem Pflanzenfett mit Butteraroma, Knorr Professional Bouillons, Fond-Konzentraten für Hummer und Fisch oder Rama Cremefine Kochcreme angeregt werden.
Eine Portion »Schokoladenmousse mit Valrhona Schokolade, hausgemachtem Kirscheis und Vanilleschaum« nach Unilever-Rezept kostet den Wirt 1,23 Euro inklusive Arbeitskosten und Waren. Darin enthalten sind die Fertigprodukte »Carte d’Or Majala Mousse au Chocolat«, »Lukull oder Carte d’Or Dessert-Sauce mit Vanillegeschmack«, »Rama Cremefine Schlagcreme«, »Lukull Dessert-Kirschen« und »Carte d’Or Dessert Topping Schokolade«. Ganze drei Gramm der Nobelschokolade Valrhona spendiert der Wirt pro Nachtisch, damit er den edlen Namen auf die Karte setzen darf. Nun sind 1,23 Euro in der besseren Gastronomie ja noch viel Geld. Deshalb bietet Unilever Tipps zur Umsatzoptimierung: »Separates Anrichten der Mousse in hohem Glas wertet dieses auf und spart zusätzlich noch Menge. Durch Aufschäumen wird die Vanillesauce aufgewertet und ebenfalls Menge eingespart.« Pimp my dessert nennt die Firma diese Praxis salopp. Durch »Pimpen« kann der Wirt den Verkaufspreis erhöhen, die Unilever-Modellrechnung verspricht Mehreinnahmen von 4497 Euro pro Jahr.
Das alles, so will es die Legende, begegnet dem Gast höchstens in Großbetrieben, Mensen und Imbissen, nicht aber inden höheren Gefilden der Gastronomie. Nur: Wozu braucht der Kneipenwirt Seeigel- und Austernaroma? Auch Schokolade der Marke Valrhona kommt in Betriebskantinen nicht wirklich häufig zum Einsatz. Ebenso wenig serviert die Dönerbude plötzlich Gänseleberterrinen.
Zum Abschluss einen Kaffee? Die Nestlé-Marke Nespresso etabliert sich zunehmend in der gehobenen Gastronomie. Mal lobt Michelin -Direktor Jean-Luc Naret den Kapsel-Kaffee im hauseigenen Kundenmagazin, mal werden die Alu-Kapseln zum Partner der elitären Köcheorganisation »Les Grandes Tables du Monde« (mit 149 Mitgliedern in 22 Ländern). Im Jahr 2013 war der Industriekaffee sogar offizieller Partner des Kochwettbewerbs »Bocuse d’Or«.
Der Gast zahlt also gutes Geld für das Handwerk qualifizierter Köche und bekommt Industrieware aus der Fabrik. Eine Entwicklung, die 2011 auch vom renommierten Institut Paul Bocuse, einer »Schule für Management, Hotellerie, Restauration und kulinarische Künste«, erkannt und beschrieben wurde: »Die Küche wurde zum Schaufenster, zur Bühne. Obligatorisch sauber, tadellos organisiert und von akzeptabler Lautstärke, limitiert sich dieser funktionale Raum notwendigerweise auf die Spitze des Eisbergs, eine ›Küche des Zusammenbauens‹ ( cuisine d’assemblage ), die im besten Fall hinter den Kulissen vorbereitet wird oder, schlimmer, außerhalb des Hauses bei Lieferanten, deren Namen man noch nicht nennt.« Das Institut zitiert dazu Bruno Goussault, den wissenschaftlichen Direktor des Centre de Recherche et d’Etudes pour l’Alimentation (CREA). Dieser lobt die Fortschritte der Lebensmittelindustrie, die Köchen jetzt vorgefertigte »Bausteine« liefere, welche im Restaurant nur noch fotogen zusammengesetzt werden müssen. Ob dieser Sachlage fragt das Institut Paul Bocuse fast fatalistisch: »Wird es Widerstandsnester […] gegen die Domination des Imperiums der Nahrungsmittelindustrie geben? Es ist zu früh, dies zu sagen, aber nicht zu früh, darüber
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