Die Erfinder des guten Geschmacks
von Accenture konzipierte Businessplan sieht nun vor, Hotels und Restaurants für Online-Services zur Kasse zu bitten.
War es Wirten und Köchen früher verboten, mit Michelin -Auszeichnungen zu werben, können sie nun »Sterne zum Anschrauben« und Michelin -Plaketten kaufen. Für die »Wonderbox Michelin«, eine Art Geschenkgutschein, verzichtet der Wirt auf etwa 30 Prozent vom Umsatz.
Auf der neuen Website Michelin Restaurants kann jeder Inhaber eines Lokals außerdem seinen Platz kaufen. Für 69 Euro im Monat stellt Michelin Fotos, Speisekarte oder Kurzbeschreibung des Wirtes herein. Das Angebot richtet sich ausdrücklich auch an Köche, die nicht von der Michelin -Redaktion ausgewählt oder getestet wurden. Sogar Reservierungen vermitteltder Restaurantführer jetzt – und lässt sich dafür natürlich von den Köchen bezahlen.
Schon die Financial Times stellte fest, dass diese neue Marketingstrategie die Unabhängigkeit der Inspektoren gefährde, da Köche, die nicht von der Redaktion ausgewählt wurden, sich »ins System einkaufen können«.
Gerade der Guide Michelin hatte in seiner Eigenwerbung immer wieder seine Unabhängigkeit betont. Doch davon kann keine Rede mehr sein. Momentan jedoch wird der Koch zum wichtigsten Kunden des Guide Michelin . Für die Zukunft stellt Direktor Alain Cuq gar »Angebote zur Verwaltung« eines Restaurants in Aussicht, so geschehen am 13. März 2013 in der Online-Ausgabe von L’Hôtellerie Restauration .
Jean-Claude Vrinat (1936-2008), der verstorbene Eigner des Pariser Lokals Taillevent, hat das Unbehagen seiner Branche gegenüber solchen Angeboten auf den Punkt gebracht: »Was wird die Reaktion der Inspektoren gegenüber all denen sein, die ihr freundliches Angebot nicht angenommen haben?«, schrieb er an den damaligen Direktor Jean-Luc Naret. Dessen Lebensgefährtin Colette Poupon, eigentlich ein Fotomodell, ernannte sich wenig später zur Gastronomieberaterin, die mit ihrer Agentur Co & Cie die »Köche im kreativen Prozess« unterstützte. Ihr prominentester Kunde hieß übrigens Joël Robuchon.
Zumindest in Frankreich wurde die einstmals hochgelobte Anonymität und Unabhängigkeit der Inspektoren vernachlässigt. Einige, wie die Frankreich-Direktorin Juliane Caspar, der ehemalige Hotelier Willy Grévin oder Emmanuelle Maisonneuve, eine ehemalige Angestellte der Alain-Ducasse-Gruppe, bewerteten in den letzten Jahren frühere Arbeitgeber oder deren Freunde und Konkurrenten.
Die Machtverhältnisse haben sich umgekehrt: PilgertenKüchenchefs früher in das Büro des Direktors Bernard Naegellen, so wurde 2012 das neue Internetkonzept des Guides im Pariser Hotel Plaza Athénée den Spitzenköchen Alain Ducasse, Marc Haeberlin, Joël Robuchon, Anne-Sophie Pic sowie Christian Têtedoie vorab vorgestellt. Auf wenig Gegenliebe stieß besonders die Idee, Lokale von ihren Besuchern bewerten zu lassen. »Wenn es eine Schwachstelle gibt, dann ist es für Sie und für uns vorbei«, meinte Robuchon. Offensichtlich war ihm nicht bekannt, dass auch die bisherige Webseite Viamichelin Kommentare zuließ.
Der Michelin begibt sich damit auf das Terrain partizipativer Restaurantführer, bei dem die Gäste über das Lokal richten. Nur: Das Prinzip existiert bereits und wird von etlichen Unternehmen wie Tripadvisor und Google mit Erfolg angeboten. Zu Google gehört inzwischen auch der erste noch existierende Restaurantführer mit Leserbeteiligung, der 1979 gegründete und nach seinen Gründern benannte Zagat . Ob der französische Führer allein dank seines Markennamens im Internet tatsächlich Google übertreffen kann?
Auf dem Zeitschriftenmarkt sieht es nicht besser aus. Das legendäre amerikanische Genussmagazin Gourmet wurde 2009 vom Condé Nast Verlag nach 68 Jahren mangels wirtschaftlicher Perspektive eingestellt. Gourmet hatte andere Krisen durchlebt: Das Magazin ging 1941 an den Start und empfahl der geneigten Leserschaft nach Kriegseintritt der USA, seine Rezepte für Friedenszeiten zu sammeln. Auch in Deutschland dünnte sich das Sortiment kräftig aus: VIF Gourmet Journal – eingestellt. Gault Millau Magazin – eingestellt. Wein Gourmet – eingestellt. In Frankreich wurde das Gault Millau Magazin , das einst die »Gebote der Nouvelle Cuisine« veröffentlichte, mitsamt dem zugehörigen Guide gleich mehrfach verkauft.
Leserschwund und schwindende Anzeigenerlöse setzten die Branche auf Diät, während Blogs und Websites für teils lesenswerten Ersatz sorgten.
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