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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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ganz Großer der Zunft erkannt, dass der Gast von heute sich nicht mehr gängeln lässt: nicht von hochnäsigen Sommeliers mit ihren Weinbibeln, nicht von Krawatten- und Sakkozwang und nicht von Guides, die ohne Anflug einer Begründung erklären, hier sei das Essen eine Reise (und Menüpreise zwischen 200 und 300 Euro) wert. Gastronomen, aber auch Bankiers bestätigten in Interviews, »Senderens habe die Welt von heute verstanden«. Ted Margellos, ehemaliger Sponsor bekannter Köche wie Meneau, Arabian und Robuchon, erklärte gar: »Die Sterne sind sinnentleert. Dies weiß die ganze Welt außer Frankreichs Presse.« Tatsächlich hatte sein Partner Joël Robuchon verlangt, dass seine Lokale in Paris und Monaco nicht bewertet werden, weil sie »nicht den Luxuskriterien des Guide entsprechen«. Robuchon kritisierte die Urteile über verschiedenste Restaurants, bezeichnete die neu eingeführte Kategorie der »Hoffnungsträger« als Marketinggag und rief der Grande Nation die größten Michelin -Pannen der letzten beiden Jahre in Erinnerung: von den peinlichen Enthüllungen des ehemaligen Testers Pascal Remy, der erklärte, dass einige Drei-Sterne-Lokale »heilige Kühe« seien und die Zahl der Tests bedenklich gering ausfalle, bis zur Verleihung eines »Bip Gourmand« (gute Küche für weniger als 25 €) an eine belgische Baustelle.
    Auch Köche außerhalb des Rampenlichts kamen zu ähnlichen Schlussfolgerungen: Philippe Gaertner vom Traditionshaus Aux Armes de France in Ammerschwihr, besternt seit 1938, konstatierte »hohe Personal- und Materialkosten, die sich nurbei ausreichender Klientel lohnen«, und bat ebenso um Entlassung aus dem Guide wie Gérard Cagna vom Zwei-Sterne-Haus Relais Sainte-Jeanne in Cormeilles-en-Vexin.
    Zwischen den Zeilen gelesen hieß das alles nichts anderes als: Sterne kosten viel Geld, bringen nicht unbedingt neue Gäste und zwingen den Koch zu einem Rüstungswettlauf in Sachen Kristallglas und Tafelsilber. Nicht umsonst veröffentlicht die Pariser Fachzeitung L’Hôtellerie Restauration in diversen Beiträgen neben den neuen Sternen die diesbezüglich getätigten Investitionen – im Falle der Réserve de Beaulieu an der Côte d’Azur etwa fünf Millionen Euro für Restaurant und Küche.
    Dennoch waren die Entscheidungen von Senderens & Co nicht unumstritten: Kollegen warfen ihnen vor, »sie hätten jahrelang vom System profitiert, um es dann zu demolieren«. Ungewöhnlich scharf fiel auch die Reaktion von Guide-Direktor Jean-Luc Naret aus: Restaurantkritiker außerhalb des Michelin -Systems seien »Profis der Eifersucht«. »Joël Robuchon braucht es vielleicht, dass man über ihn redet«, erklärte er gegenüber Libération . Und überhaupt gehörten »die Sterne nicht den Köchen, sondern dem Führer«. Sie könnten deshalb gar nicht zurückgegeben werden. Offenbar war Jean-Luc Naret mit der Geschichte des kleinen roten Buchs wenig vertraut: Als Louis Vaudable 1978 erfuhr, dass sein Maxim’s künftig nicht mehr mit drei Sternen gesegnet sein würde, bat er die Direktion des Guide, das Lokal nicht mehr zu listen. Ein Wunsch, dem der Führer bis heute jedes Jahr gern entspricht.
    Die Aussteiger hätte der Guide verschmerzen können. Denn es gibt heute mehr und kostspieligere Restaurants als vor 20 Jahren. Ende der Achtzigerjahre kostete ein Menü in einem absoluten Spitzenrestaurant pro Person zwischen 50 und 80 Euro. Dabei gab es noch Ausreißer nach unten wie Menüs zu 35 Euroim spanischen Arzak in San Sebastián. Im Jahr 2013 schlägt eine solche Speisenfolge mit 200 bis 310 Euro ohne Wein auf die Geldbörse und damit auch auf das Budget jedes Restaurantführers.
    Wenn nun ein Guide wie der Michelin France 8950 Adressen präsentiert, können diese nicht alle getestet worden sein: Nach Abzug der Umsatzsteuer und des Buchhandelsrabatts wandern etwa zehn Euro in die Taschen des Verlages, der davon natürlich nicht nur Tester und deren Hotel- und Restaurantrechnungen, sondern auch Sekretariat, Datenbank, Layout, Kartografie und natürlich Druck bezahlen muss.
    Im Juli 2011 berichtete die Financial Times , der Guide mache jährlich 15 Millionen Verlust. Die Unternehmensberatung Accenture hätte gar errechnet, dass die jährlichen Verluste bis 2015 auf 19 Millionen Euro steigen würden, und daraufhin drei Planspiele erarbeitet. Eines ging von der sofortigen Einstellung des Guides aus; eine Maßnahme, die in der Konzernzentrale als »politisch undurchsetzbar« angesehen wurde. Der neue

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