Die Erfindung der Einsamkeit
verändern, so stellen auch zwei (oder mehr) sich reimende Ereignisse eine Verbindung in der Welt her und legen damit eine weitere Synapse durch den unermesslichen ausgefüllten Raum der Erfahrung.
In literarischen Werken (um auf diesen Gedankengang zurückzukommen) sind solche Verbindungen etwas Alltägliches, während man in der Wirklichkeit dazu neigt, sie zu übersehen – denn die Welt ist zu groß und das individuelle Leben zu klein. Nur in jenen seltenen Augenblicken, wenn man zufällig einmal auf einen Reim in der Welt gestoßen wird, kann der Geist aus sich selbst herausspringen und über Zeit und Raum, über Sehen und Erinnern hinweg als Brücke dienen. Doch ist der Reim nicht das Einzige. Die Grammatik des Seins enthält auch alle anderen Sprachfiguren: Vergleich, Metapher, Metonymie, Synekdoche – so dass jedes Ding, dem wir in der Welt begegnen, in Wirklichkeit aus vielen Dingen besteht, die wiederum zu vielen anderen Dingen führen, je nachdem, woran sie angrenzen, worin sie enthalten oder wovon sie entfernt sind. Häufig fehlt auch der zweite Ausdruck eines Vergleichs. Vielleicht hat man ihn vergessen, oder er ist im Unbewussten begraben oder auf irgendeine andere Weise unzugänglich. «Die Vergangenheit», schreibt Proust in einem wichtigen Absatz seines Romans, «verbirgt sich außerhalb des Machtbereichs unseres Geistes und unerkennbar für ihn in irgendeinem stofflichen Gegenstand (oder der Empfindung, die dieser Gegenstand in uns weckt); in welchem, ahnen wir nicht. Ob wir diesem Gegenstand aber vor unserem Tode begegnen oder nie auf ihn stoßen, hängt einzig vom Zufall ab.» Das merkwürdige Gefühl der Vergesslichkeit, die unerklärliche Macht des fehlenden Begriffs hat bereits jeder auf die eine oder andere Weise erfahren. Als ich, sagt jemand, dieses Zimmer betrat, überkam mich ein ganz eigenartiges Gefühl, als wenn ich dort schon einmal gewesen wäre, obwohl ich mich durchaus nicht daran erinnern kann. Wie in Pawlows Hundeexperimenten (die auf unterster Ebene demonstrieren, wie der Verstand zwischen verschiedenen Dingen eine Verbindung herstellen kann, schließlich das erste Ding vergisst und somit ein Ding in ein anderes verwandelt) ist da etwas geschehen, auch wenn wir nicht sagen können, was. Vielleicht will A. damit ausdrücken, dass ihm seit einiger Zeit bereits die Begriffe nicht mehr fehlen. Wo auch immer sein Blick oder sein Denken anzuhalten scheint, entdeckt er eine weitere Verbindung, eine weitere Brücke, die ihn wieder an einen anderen Ort führt, und selbst in der Einsamkeit seines Zimmers ist die Welt mit schwindelerregender Geschwindigkeit auf ihn eingestürmt, als strömten alle Dinge plötzlich in ihm zusammen und geschähen zur gleichen Zeit. Zufall: zusammen-fallen; in Zeit oder Raum den gleichen Ort besetzen. Der Geist daher als das, was mehr als sich selbst enthält. Wie in Augustinus’ Bemerkung: «Wo aber befindet sich jener Teil von ihm, den er nicht in sich selbst umschließt?»
Zweite Rückkehr zum Bauch des Wals.
«Als er endlich wieder zu sich kam, konnte er sich beim besten Willen nicht darauf besinnen, in was für einer Welt er sich da plötzlich befand. Rings um ihn herrschte überall Dunkelheit, und zwar eine so dunkle Dunkelheit, eine so schwarze Dunkelheit, dass er hätte meinen können, mit dem Kopf in einem Tintenfass zu stecken.»
So beschreibt Collodi Pinocchios Ankunft im Bauch des Haifischs. Er hätte ja auch auf herkömmliche Weise schreiben können: «ein tintenschwarzes Dunkel» – eine abgedroschene Phrase, die man liest und gleich wieder vergessen hat. Aber hier geschieht etwas anderes, etwas, bei dem sich die Frage, ob es gut oder schlecht geschrieben ist, gar nicht mehr stellt (und dies ist eindeutig nicht schlecht geschrieben). Man beachte genau: Collodi stellt in diesem Absatz keine Vergleiche an; hier gibt es kein «als ob», kein «wie», nichts, womit ein Ding mit einem anderen gleichgestellt oder kontrastiert wird. Das Bild absoluter Dunkelheit weicht unmittelbar dem Bild eines Tintenfasses. Pinocchio ist eben erst in den Bauch des Haifischs gekommen. Er weiß noch nicht, dass auch Geppetto sich dort befindet. Zumindest für diesen kurzen Augenblick hat er alles verloren. Pinocchio ist vom Dunkel der Einsamkeit umgeben. Und in diesem Dunkel, wo der Puppenjunge schließlich den Mut findet, seinen Vater zu retten und damit seine Verwandlung in einen richtigen Jungen herbeizuführen, ereignet sich der wesentliche Schöpfungsakt
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