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Die Erfindung der Einsamkeit

Die Erfindung der Einsamkeit

Titel: Die Erfindung der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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mal, sagt der Junge, mein Broccoli ist ein Baum. Sieh mal, meine Kartoffeln sind eine Wolke. Sieh mal die Wolke, die ist ein Mann. Oder wenn er das Essen auf der Zunge spürt, blickt er mit schüchtern glänzenden Augen auf und sagt: «Weißt du, wie Pinocchio und sein Vater aus dem Haifisch kommen?» Pause, um die Frage einwirken zu lassen. Und dann ein Flüstern: «Sie gehen auf Zehenspitzen über seine Zunge.»
    Manchmal kommt es A. so vor, als seien die geistigen Streifzüge seines Sohnes beim Spielen ein exaktes Abbild seines eigenen Vordringens durch das Labyrinth seines Buchs. Er hat sogar gedacht, dass, wenn er vom Spiel seines Sohnes irgendwie ein Diagramm anfertigen könnte (eine erschöpfende Beschreibung, in der jede Verlagerung, jede Assoziation und jede Geste enthalten wäre) und dann ein ähnliches Diagramm von seinem Buch (worin ausgearbeitet wäre, was in den Lücken zwischen den Worten, in den Fugen der Syntax, in den Leerräumen zwischen den Abschnitten vor sich geht – mit anderen Worten, worin das Knäuel der Beziehungen entwirrt wäre), diese beiden Diagramme einander völlig gleichen würden: Das eine würde genau auf das andere passen.
    Während er an dem Buch der Erinnerung geschrieben hat, hat es ihm besondere Freude bereitet, seinem Sohn zuzusehen, wenn er sich an etwas erinnerte. Wie alle Wesen, die nicht schreiben können, besitzt der Junge ein erstaunliches Gedächtnis. Seine Fähigkeit zur genauen Beobachtung, zur ausschließlichen Betrachtung eines einzigen Gegenstands, ist nahezu grenzenlos. Die Schriftsprache befreit einen von der Notwendigkeit, viel von der Welt im Gedächtnis behalten zu müssen, denn die Erinnerungen sind in den Worten aufbewahrt. Dem Kind jedoch steht die Ankunft des geschriebenen Wortes erst noch bevor, und daher erinnert es sich auf die gleiche Weise, die Cicero empfehlen würde, auf die gleiche Weise, die eine Vielzahl von klassischen Autoren zu diesem Thema sich ausgedacht haben: Man verbinde ein Bild mit einem Ort. Eines Tages zum Beispiel (und dies ist nur eins von zahllosen anderen Beispielen) gingen A. und sein Sohn auf der Straße spazieren. Vor einer Pizzeria trafen sie einen Kindergartenfreund des Jungen, der dort mit seinem Vater stand. A.s Sohn freute sich, seinen Spielkameraden zu treffen, während diesem die Begegnung nicht ganz geheuer zu sein schien. Sag hallo, Kenny, drängte ihn sein Vater, bis es dem Jungen gelang, einen schwächlichen Gruß hervorzustoßen. Dann setzten A. und sein Sohn den Spaziergang fort. Drei oder vier Monate später kamen sie zufällig wieder einmal an der gleichen Stelle vorbei. Plötzlich hörte A., wie sein Sohn mit kaum hörbarer Stimme vor sich hinmurmelte: Sag hallo, Kenny, sag hallo. A. kam der Gedanke, dass ebenso, wie in gewissem Sinne die Welt sich unseren Köpfen einprägt, auch unsere Erfahrungen sich der Welt einprägen. In diesem kurzen Augenblick, als sie an der Pizzeria vorbeigingen, sah der Junge buchstäblich seine eigene Vergangenheit. Die Vergangenheit verbirgt sich, um noch einmal mit Proust zu sprechen, in irgendeinem stofflichen Gegenstand. Und wenn wir durch die Welt wandern, wandern wir also auch in uns selbst herum. Soll heißen, sobald wir den Raum der Erinnerung betreten, gehen wir in die Welt hinaus.

    Eine verlorene Welt. Und er erkennt bedrückt, dass sie für immer verloren sein wird. Der Junge wird alles vergessen, was er bis jetzt erlebt hat. Nichts wird übrigbleiben als eine Art Nachglühen, und vielleicht nicht einmal das. All die Tausende von Stunden, die A. in den ersten drei Jahren seines Lebens mit ihm verbracht hat, all die Millionen von Worten, die er zu ihm gesagt hat, die Bücher, die er ihm vorgelesen hat, die Mahlzeiten, die er für ihn bereitet hat, die Tränen, die er seinetwegen vergossen hat – all dies wird für immer aus dem Gedächtnis des Jungen verschwinden.

    Das Buch der Erinnerung. Buch dreizehn.
    Er erinnert sich daran, dass er sich den neuen Namen John zulegte, weil alle Cowboys John hießen, und dass er, wenn seine Mutter ihn mit seinem richtigen Namen anredete, überhaupt nicht mehr darauf reagierte. Er erinnert sich, wie er aus dem Haus lief, sich mit geschlossenen Augen mitten auf die Straße legte und darauf wartete, dass er von einem Auto überfahren würde. Er erinnert sich, dass sein Großvater ihm eine große Fotografie von Gabby Hayes schenkte und dass sie einen Ehrenplatz auf seiner Kommode hatte. Er erinnert sich, dass er die Welt für eine

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