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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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seinem Mund.
    Ungerührt gab Sonja Hanne das Foto zurück, die es wieder ins Portemonnaie steckte. Vogel wusste nicht, wohin mit der Abfuhr.
    »Ihr Kollege hat mir die Hucke voll gelabert, aber meinen Sohn hat er nicht gefunden. Und Sie? Was wollen Sie von meiner Frau? Und du …« Er meinte Hanne Weck, »was suchst’n du hier? Hau ab, schleich dich nach Berlin! Du hast hier nix verloren, kapiert? Hau ab!«
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir das Gespräch woanders fortsetzen?«, fragte Sonja. Heuer, der ebenfalls näher gekommen war, nickte.
    »Entschuldigen Sie bitte …«, sagte eine der beiden Frauen, die sich etwas abseits unterhalten hatten.
    »Mit Ihnen möchten wir auch noch kurz sprechen«, sagte Sonja und hatte vergessen, ob es sich um Susanne Klein oder Evelin Sorge handelte; immerhin fielen ihr beide Namen noch ein, worüber sie froh war.
    »Ich müsst ins Geschäft«, sagte die zweite Frau.
    »Wo ist mein Sohn?«, blaffte Vogel und bohrte seine Blicke in seine Frau, als wüsste sie es und wäre schuld an Raphaels Verschwinden.
    »Wir haben noch Fragen an Sie, Frau …« sagte Heuer.
    »Klein«, sagte die Angesprochene.
    Danke, Martin, dachte Sonja.
    »Was hast ’n du der Polizistin da alles erzählt, ha!«, sagte Vogel. Kirsten schaute ihn an und durch ihn hindurch zum Bahndamm hinter der Friedhofsmauer, wo Leute auf die S-Bahn warteten. »Mach’s Maul auf, verdammt!«
    »Sie sind wohl nicht ganz sauber, Herr Vogel«, sagte Heuer, und Vogel drehte sich mit einer schneidenden Bewegung zu ihm herum und ballte die Faust. Er wollte etwas sagen, etwas tun, doch dann hielt er inne, nickte, verengte die Augen und grinste. Das war alles.
    »Wann haben Sie das letzte Mal von Raphael gehört, Frau Weck?«, fragte Sonja. Lange hielt sie es nicht mehr hier aus; was nicht nur an Vogels Bemerkungen lag, die sie nur deshalb nicht kommentierte, weil sie dann ausfallend geworden wäre, und das widerstrebte ihr in der Gegenwart von Menschen, die vor einem offenen Grab standen.
    »Als … als ich das letzte Mal mit Georg telefoniert hab, vor vier Wochen, ja, Ende Juli, es war ein warmer Tag in Berlin, das weiß ich noch, ich hatte die Fenster im Wohnzimmer auf, ich wohn in Wilmersdorf in … da hat er mir erzählt, dass gerade sein Enkel wieder zu Besuch bei ihm war und dass sie im Keller waren, wo er seine Eisenbahn – die Modelleisenbahn –, wo sie mit der Eisenbahn gespielt haben, die Kindsköpfe …« Sie schaffte es nicht, ihre Tränen zu unterdrücken. Das dauernde Weinen schien sie anzustrengen und zu quälen, denn sie stieß einen tiefen Seufzer aus und lächelte Sonja an, nachdem sie sich mit dem nassen Stofftaschentuch Augen und Nase abgetupft hatte. »Verzeihung. Wenn ich mal anfang zu heulen, dann läuft’s nur so raus …«
    »Ich kenn das«, sagte Sonja. Und wie sie das kannte.
    »Das war eben sein Hobby. Ich hab ihn immer allein spielen lassen, für mich war das nichts, ich fand’s merkwürdig, oder? Er ist dauernd auf Ausstellungen und Treffen von anderen Modelleisenbahnern gerannt, um sich neue Teile zu kaufen oder zu tauschen …«
    »Was hat er Ihnen bei diesem Gespräch von seinem Enkel erzählt?«
    Die Kirchenglocken schlugen viermal, und in der Ferne sah Sonja einen Leichenzug, an dem mindestens fünfzig Menschen teilnahmen.
    »Nichts Besonderes, nur dass … dass sein Vater, also Raphaels Vater, dass der immer seltener zu Hause ist und dass ihm das wehtut und dass der Bub manchmal bei ihm übernachtet …«
    »Ist das verboten oder was?«, rief Vogel dazwischen.
    »Bei wem übernachtet?«, fragte Sonja. »Bei seinem Großvater oder bei seinem Vater?«
    »Bei seinem Vater!«, blaffte Vogel.
    »Und worüber haben Sie noch mit ihm gesprochen?«
    »Über nichts mehr sonst …«, sagte Hanne, und die Antwort kam für Sonja eine Sekunde zu schnell.
    »Möchten Sie jetzt nicht darüber reden?«
    »Was is’n los? Was labert ihr da überhaupt? Du hast meinen Vater fertig gemacht, das weißt du genau, wegen dir hat der den Krebs gekriegt, wenn du nicht gewesen wärst, dann würd der noch leben, das schwör ich dir! Du hast meinen Vater ins Grab gebracht, so schaut’s nämlich aus, und jetzt verschwind hier, Hanne! Hast du einen Pfropfen im Ohr oder was? Mir langt’s nämlich …«
    Zielsicher hatte er diesmal die Grenze erreicht, und Sonja fuhr ihm so heftig in die Parade, dass Kirsten schlagartig aus ihrer Lethargie erwachte. »Halten Sie den Mund, Herr Vogel! Ihr Gerede ist

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