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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Was ham Sie da gesagt? Sagen S’ das noch mal! Bittschön, sagen Sie’s noch mal, ich möcht das noch mal …«
    »Ist Ihr Sohn Raphael wirklich weggelaufen?«, wiederholte Sonja und trank einen Schluck heißen, glorreichen Kaffee. Ihre Lebensgeister fingen langsam an, zu toben. Ähnlich wie Thomas Vogel.
    »Ich möcht Sie nicht beleidigen, Frau Kommissar …« sagte er, nah am Gesicht seiner Frau, die er immer noch an der Schulter festhielt, als würde ihr Körper sonst nach vorne kippen und ihm die Sicht versperren. »Aber ich weiß nicht, wieso ich mir so eine Frage gefallen lassen muss, ha? Muss ich das? Muss ich nicht! Unser Sohn ist abgehauen …« Seine Stimme wurde lauter, und jetzt kam auch der Koch aus der Küche und hörte vom Tresen aus zu. »… und Sie ham von der Polizei die Pflicht, da was zu tun! Und zwar gleich! Und zwar …«
    »Es kommt manchmal vor, dass Eltern ihre Kinder als vermisst melden, und dabei wissen sie genau, was mit ihnen los ist«, sagte Heuer, der schräg gegenüber von Vogel saß und sich Notizen machte.
    »Was? Was wissen die genau, was mit den Kindern los ist? Ha? Ich sag Ihnen jetzt mal was, Herr Kommissar, und dann möcht ich, dass Sie Ihren Polizeiapparat in Bewegung setzen und meinen Sohn suchen, verstanden? Ich hab meinem Sohn nix getan, falls Sie das meinen, ich nicht. Und meine Frau auch nicht …«
    »Nein …«, sagte Kirsten leise und presste die Lippen aufeinander.
    »Wir ham unserm Kind nix getan, solche sind wir nicht, ham S’ das jetzt kapiert, Herr Kommissar? Der Raphael ist ein Spitzenjunge, und er hat’s nicht leicht gehabt, aber er hat das alles spitzenmäßig gemeistert, oder nicht, sag was, Kiki!«
    Er rüttelte seine Frau, die dadurch tatsächlich munter wurde.
    »Ja, das stimmt, er ist ein ganz mutiger Junge, und er ist um halb sechs in der Früh weggelaufen …«
    »Woher wissen Sie das so genau?«, fragte Sonja. Funkel hatte ihr nichts Näheres darüber mitgeteilt.
    »Weil … weil ich da was gehört hab …«
    »Was haben Sie gehört, Frau Vogel?«, fragte Heuer.
    »Ein Geräusch hab ich gehört«, sagte sie mit dünner Stimme.
    »Was für ein Geräusch, Mensch, jetzt red endlich!«, sagte Vogel und schüttelte sie wieder, und ihr Kopf schwang vor und zurück.
    »Haben Sie das meinem Kollegen gesagt?«, fragte Heuer und schrieb jedes Wort auf.
    »Ja«, sagte sie.
    Heuer schaute kurz seine Kollegin an, die den Kopf schüttelte. »Und was war das für ein Geräusch, Frau Vogel? Was für ein Geräusch?«
    »Eine Tür oder was?«, raunte Vogel.
    »Ja, eine Tür«, sagte sie, und es war mehr ein Hauchen als ein Sprechen. »Eine Tür, da … die fällt ja so leicht zu, weil sie so schwer ist, aber … aber das hab ich nicht gewusst …«
    »Was haben Sie nicht gewusst?«, fragte Sonja und sah, wie die drei anderen Frauen gebannt zuhörten. Auch hinter dem Tresen herrschte große Spannung, obwohl die Angestellten nichts von dem verstanden, was an dem Tisch geredet wurde.
    »Dass das die Tür war, unsere schwere Tür, das hab ich nicht gewusst …«
    »Das haben Sie erst gewusst, als Sie feststellten, dass Ihr Sohn nicht mehr in seinem Zimmer war«, sagte Heuer und schaute auf seine Armbanduhr. Neun Uhr fünfundzwanzig.
    Kirsten nickte.
    »Also um halb sechs haben Sie das Geräusch gehört«, sagte Heuer, »und Sie wissen, dass es halb sechs war, weil sie einen Wecker neben dem Bett stehen haben.«
    »Nein«, sagte Kirsten.
    Mitten im Satz hielt Heuer beim Schreiben inne. Sonja, die gerade den Rest Kaffee in die Tasse gießen wollte, stellte das Kännchen wieder hin und ließ Kirsten nicht aus den Augen.
    »Ich brauch doch keinen Wecker, ich wach schon auf, wenn’s sein muss.«
    Vogel nahm die Hand vom Nacken seiner Frau und trank Bier.
    »Woher wussten Sie, dass es halb sechs war, Frau Vogel?«, sagte Heuer.
    »Von …« Sie schaute ihren Mann an, der wieder Luft durch die Nase stieß, als habe er Polypen. »Von meinem Freund, der … der hat gesagt, ich soll noch ein bisschen schlafen, weil es erst halb sechs ist, er hat eine beleuchtete Armbanduhr …«
    Auch davon wusste Sonja nichts, was bedeutete, dass Kirsten es im Dezernat verschwiegen hatte.
    »Warum haben Sie meinem Kollegen nicht gesagt, dass Sie nicht allein waren in der Nacht?«, fragte sie.
    »Wieso denn?«, blaffte Vogel.
    »Wo erreichen wir diesen Mann, wie heißt der?«, fragte sie.
    »Hans«, sagte Kirsten schnell und drehte den Kopf zu ihr. Sonja glaubte ein fernes Glimmen

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