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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sich.
    »Viel Glück!«, sagte Jens. »Hab ich das richtig verstanden, Ihr Name ist Süden?«
    »Ja.«
    »Da haben wir was gemeinsam, ich heiß Sommer, wie die Elke.«
    »Danke, dass Sie mich begleitet haben, Jens.«
    »Ist okay, ein Süden kann im Norden immer Hilfe brauchen.«
    Zum ersten Mal, seit sie zusammen waren, nahm Jens die Hand aus der Hosentasche und streckte sie ihm hin. Sofort steckte er sie wieder in die Tasche und machte sich auf den Weg zur Biologischen Anstalt an der Kurpromenade.
    Süden ging die steile Treppe zum Oberland hinauf, während unten allmählich die Souvenirläden und Geschäfte mit den zollfreien Waren schlossen.
    Als er an einer Telefonzelle vorüberkam, dachte er daran, Sonja anzurufen und ihr zu sagen, wie groß seine Angst war, dass er sich geirrt und der Junge die Insel nie betreten haben könnte. Und dass er ein für alle Mal seinen Beruf aufgeben würde, weil er nicht dazu geschaffen sei, Menschen zu beschützen; nicht einmal seinen besten Freund habe er beschützen können; anstatt da zu sein und zu begreifen, habe er lieber seine Einsamkeit wie einen Gottesdienst gefeiert und dabei die Wirklichkeit vergessen und einen Mann, der in ihr zappelte wie ein gefangener Fisch.
    Er hatte den Hörer schon in der Hand. Und hängte wieder ein. Dann nahm er ihn erneut in die Hand und hängte wieder ein.
     
    »Schmeckt dir das Brot mit der Mettwurst?«, fragte August Anz und schaute Raphael an, der verschlafen an dem kleinen Tisch vor dem Fenster ihres Zimmers saß und lustlos kaute.
    »Hab keinen Hunger.« Mit seinen Gedanken war er weit weg, und der Mann, den er vor sich sah, war nicht Gustl, sondern ein anderer, einer, den er bald umarmen und dann nie mehr loslassen würde.
    »Du hast ganz schön fest geschlafen«, sagte Gustl. Er aß Fleischsalat aus einem Plastikschälchen und trank Bier aus der Flasche. Ohne viel Zeit zu verschwenden, hatte er vorhin im Supermarkt ein paar Sachen eingekauft, das Billigste, was er kriegen konnte. »Ich hab schon geglaubt, du wachst überhaupt nicht mehr auf.«
    »Ich wach schon auf!«
    »So hab ich’s nicht gemeint. Willst du noch einen Schluck Limo?« Er zeigte auf eine der drei Fantadosen auf dem Tisch.
    »Nein. Ist die Polizei hinter uns her?«
    »Was? Wieso denn? Nein, wir sind schlauer als die«, sagte Gustl und erinnerte sich an die beiden Männer, die auf der Promenade gestanden und zu ihm heraufgesehen hatten, während er ungeduldig darauf gewartet hatte, dass der Junge endlich wieder munter wurde. Es war ihm lieber, wenn er wach war, dann hatte er etwas zu tun, konnte reden und etwas erzählen und wurde nicht ständig von schwarzen Gedanken heimgesucht.
    »Wenn die Polizei uns erwischt, dann bist du schuld«, sagte Raphael, stand auf und ging ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen.
    »Hör mal, Raphael, hier kann uns nichts passieren. Wir sind von München bis hierher gefahren, ohne dass uns jemand aufgehalten hat. Wir sind sogar in Köln gewesen, und keiner hat’s gemerkt. Du musst zugeben, wir sind ziemlich professionell.«
    Raphael spuckte das Wasser aus und wischte sich mit dem Handtuch den Mund ab. Er wollte nicht, dass sein Großvater böse auf ihn war, weil er sich wieder nicht die Zähne geputzt hatte. Dann kam er zurück, sprang aufs Bett und lehnte sich am Kopfende an die Wand. »Was ist professionell?«
    »Das ist, wenn man gut ist. So wie wir«, sagte Gustl und machte mit dem Feuerzeug die zweite Flasche Bier auf.
    »Ich bin müde.«
    »Schon wieder?«
    »Mach den Fernseher an!«
    »Nein«, sagte Gustl. Er war sich sicher, dass sie ihr Bild in den Nachrichten zeigen würden, und dann war alles aus. Dann würde er den Jungen verlieren und käme ins Gefängnis und hätte nie wieder einen Freund, mit dem er Gespräche führen konnte; so wie die anderen Leute das auch machten, wenn er durch die Fenster in die Restaurants blickte, wo sie alle saßen und unentwegt plauderten; mit Frankyboy saß er immer nur in windigen Wirtshäusern, weil die billig waren. Aber das war auch ein Leben, sie hatten auch geplaudert, manchmal etwas zu laut, aber nur deshalb, weil dieser Blödmann von Franky so lange brauchte, bis er was kapierte, sie hatten auch ihren Tisch, zu dem sie gehörten und an dem immer ein Platz frei war, wenn sie nach der Arbeit hereinkamen. Und einmal würde er auch mit Raphael einen Tisch haben, vielleicht nicht in München, vielleicht nicht einmal in Deutschland, woanders, wo es sie eben hin verschlagen würde, schon

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