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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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legte sie sich auf den Bauch. Sie vergrub den Kopf unter den Händen und schluchzte so lange, bis Garbo sie berührte und in die Höhe ziehen wollte. Da riss sie sich los, sprang auf und starrte mit aufgerissenen Augen die Reporter an, die bis auf wenige Meter herangekommen waren.
    »Wieso bringen Sie mir nicht meinen Sohn zurück?«, rief sie, und ihre Stimme klang klar und bestimmt. »Sie wissen doch, wo er ist! Sie wissen es doch! Bringen Sie ihn mir zurück! Jetzt sofort! Sofort!«
    Dann kratzte sie sich hektisch die Innenseite der linken Hand und ließ scheinbar unbeeindruckt das Blitzlichtgewitter über sich ergehen.
     
    »Sprechen Sie lauter, ich kann Sie nicht verstehen!« Sonja hielt sich das Ohr zu, während sie telefonierte. Um sie herum klapperten Schreibmaschinen, und die Telefongespräche ihrer Kollegen waren ein einziges Stimmengewirr.
    »Was ist mit dem Kind?«, fragte sie und hielt die Sprechmuschel zu. »Florian, hey Florian!« Nolte saß ihr gegenüber und tippte wie ein Besessener einen Bericht. »Kannst du einen Moment aufhören? Bitte, nur einen Moment. Danke.« Sie nahm die Hand von der Muschel. »Also, was ist mit dem Kind? Wieso wissen Sie das nicht? Haben Sie keine Funkverbindung zu Ihren Kollegen auf der Insel? Ja, verstehe, jaja, ich verstehe! Hoffentlich suchen sie auch gründlich genug! Und es ist ganz sicher, dass sich Hauptkommissar Süden bei keinem Ihrer Kollegen gemeldet hat. Nein, wir wissen es auch nicht. Was? Er meldet sich eben nicht, was weiß ich, warum! Wiederhören.«
    Sie legte auf, heftiger, als es nötig gewesen wäre, und trank einen Schluck kalten Kaffee.
    Florian Nolte schaute sie an.
    »Ist was?«, fragte sie. »Wieso schreibst du nicht weiter an deinem Meisterwerk?«
    Er fing wieder an, die Tasten der Olympia zu traktieren.
    Der Raum war übervoll mit Polizisten, die immer frustrierter wurden, je mehr vermeintliche Hinweise sie erhielten; von den vielen Anrufern, die sich den ganzen Tag bei ihnen meldeten, hatten nur die wenigsten brauchbare Informationen zu bieten, zum Beispiel über den Aufenthalt des grauen VW Polo; eine Frau hatte den Wagen in Köln gesehen, und derzeit überprüften die Ermittler sämtliche Garagen in der näheren Umgebung, sie hielten den Hinweis für glaubwürdig. Der überwiegende Teil der Anrufer jedoch waren von den Medien aufgehetzte Wichtigtuer, die lediglich ihre Meinung über den verbrecherischen Kindsentführer oder den gemeingefährlichen Vater oder die komplett unfähige Polizei loswerden wollten.
    Sonjas Telefon klingelte.
    »Vermisstenstelle, Sonja Feyerabend.«
    Vom ersten Tag an hatte sie sich angewöhnt, ihren Vornamen zu sagen. »Vermisstenstelle, Feyerabend«, das hätte doch sehr merkwürdig geklungen.
    »Hier ist Ute Fröhlich, kann ich bitte Hauptkommissar Süden sprechen?«
    Die Straßenbahnfahrerin! Die Konkurrentin! Südens heimlicher Schwarm, sein Ich-hab-nichts-mit-ihr-Verhältnis! Wieso rief die im Dezernat an?
    »Herr Süden ist nicht da.«
    »Ich muss ihn aber dringend sprechen«, sagte Frau Fröhlich.
    »Er ist nicht in der Stadt. Würden Sie jetzt bitte die Leitung frei machen?« Und zwar schleunigst! fügte sie unhörbar hinzu.
    »Sie brauchen gar nicht so mit mir zu reden, Frau Feyerabend. Ich nehm Ihnen den Herrn Süden schon nicht weg! Aber ich erwarte, dass er auf meine Briefe antwortet, die ich ihm geschrieben habe.«
    »Er ist nicht in der Stadt«, sagte Sonja, und ihre Miene verfinsterte sich. Was Florian Nolte dazu brachte, sein Meisterwerk erneut zu unterbrechen und seine Kollegin anzugrinsen. Sie machte eine abweisende Handbewegung und drehte sich von ihm weg. »Rufen Sie ein andermal wieder an, Frau Fröhlich!«
    »Richten Sie ihm bitte aus …«
    »Nein!«, sagte Sonja und legte auf.
    Jetzt wurde sie auch noch eifersüchtig! Dabei wollte sie einfach nur wütend sein!
    »Gegenspielerin?«, fragte Florian Nolte. Sonja holte aus, und er duckte sich lachend.
     
    Mit versteinertem Gesicht stand August Anz hinter der Gardine und blickte auf die Uferpromenade und das Meer hinunter; es war kurz nach neunzehn Uhr, der Himmel war heller geworden. Urlauber flanierten über die geteerten Wege, es gab hier weder Fahrradfahrer noch Autos. Ein milder Abend begann. Drüben auf der Düne funkelten die ersten Lichter.
    Von unten drangen Stimmen herauf. Das Ehepaar, das die Zimmer vermietete, hatte zwei kleine Kinder, die in den engen Gängen herumtollten.
    August Anz hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und

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