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Die erste Mission

Die erste Mission

Titel: Die erste Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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in dem das Götterkind gefangen war. Aber das gelang ihm nicht. Auch fragte sich der Whuuorr mittlerweile, ob dieses Kind mit den Haaren am Kinn tatsächlich überhaupt noch lebte.
    Wenn es tatsächlich ein Kind der Götter ist, so sollte es vom diesen eigentlich die Eigenschaft der Unsterblichkeit geerbt haben , überlegte er.
    Konnte es sein, dass die Götter in Wahrheit gar nicht unsterblich waren? Oder dass auch sie das Schicksal der Sterblichen teilten, denen viele ihrer Jungen schon in den ersten Lebensjahren einfach wegstarben?
    Was, wenn es kein Gnadenakt der Götter gegenüber mir ist, sondern sie mir einfach nur ein schwächliches, missgestaltetes Kind gaben, dessen Schicksal wahrscheinlich ohnehin von Anfang an besiegelt war?
    Der Alleinige überlegte, ob es vielleicht sinnvoll war, zu seinem Stamm zurückzukehren. Schließlich hatten die Götter ihre Gunst auch dorthin geschickt, wie er mit eigenen Augen gesehen hatte. Wenn er den anderen Stammesangehörigen den Kasten mit dem Götterkind zeigte, vielleicht würden sie ihm dann verzeihen und ihn wieder aufnehmen, denn die Gunst der Götter verband sie doch.
    Der Alleinige rang mit sich.
    Ein Whuuorr sollte nicht allein leben , lautete ein bekannter Spruch aus der Überlieferung, der von Generation zu Generation weitertradiert wurde. Für eine gewisse Zeit hatte sich der Alleinige tatsächlich an den Gedanken gewöhnt, für den Rest seiner Tage ein Einzelgänger zu sein. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher.
    Eine andere Stimme meldete sich in ihm, die ihn warnte. Es ist noch zu früh. Du hast den Schnellen Läufer im Streit erschlagen und kannst nicht erwarten, dass der Stamm das so schnell vergessen wird – selbst dann nicht, wenn du das Götterkind bei dir hast und damit die Verheißung, dass die Götter dem Stamm, bei dem ihr Kind wohnt, beschützen werden.
    Der Alleinige grübelte lange und dachte daran, dass er liebend gern wieder Flussbezwinger gewesen wäre. Er trauerte jenem Leben nach, mit dem er eigentlich bereits längst abgeschlossen hatte.
    Schließlich nahm er den Kasten mit dem Götterkind, lud ihn sich auf die breiten Schultern und durchquerte auf diese Weise die Ebene, die zwischen der Anhöhe und dem nahen Gebirge lag, das aus einer Kette von Vulkankratern bestand. Manche davon waren noch aktiv. Es war gefährlich, sich den Kegeln zu nähern. Manchmal sprudelte urplötzlich flüssiges Wasser an die Oberfläche und riss dann in großen Strömen alles mit sich. Wann das geschah, konnten selbst die Schamanen nicht vorhersagen. Ein Gesetz aus der Überlieferung untersagte es ihnen zudem.
    Einmal rastete der Alleinige unterwegs an einem schmalen Methanfluss, der durch die ansonsten zu Eis erstarrte Landschaft mäanderte. Der Fluss führte wenig Flüssigkeit, was es für den Alleinigen leichter machte, ein paar Kleinflosser zu fangen. Die Koordination seiner drei Augen ermöglichte ihm ein außergewöhnlich gutes und sehr exaktes räumliches Sehen. Entfernungen, Abstände und Bewegungen vermochte er sehr sicher einzuschätzen. Ein Stoß mit der Riesenflosser-Gräte, und es hatte einen der Kleinflosser erwischt, die in der Methansuppe herumschwammen und darauf warteten, dass sich der Flüssigkeitsstand mit dem nächsten Regen oder der kommenden Flut wieder erhöhte, sodass sie bessere Entfaltungsmöglichkeiten hatten.
    Während der Alleinige so dasaß, die Beute zerteilte und sie verschlang, solange sie noch einigermaßen warm war, schaute er auf das Fenster im Kasten, wo das Gesicht des Götterkindes zu sehen war.
    Gesicht – ich frage mich, ob das für diese entstellte Maske überhaupt das richtige Wort ist! , dachte er, schämte sich aber sofort für diesen frevelhaften Gedanken.
    »Warum bleibst du stumm?«, fragte der Whuuorr in seiner Sprache und tickte mit den Fingern der zarten Hand links gegen das Fenster. Dass es ein Material gab, das durchsichtig und gleichzeitig hart war, konnte er akzeptieren. Es muss sich um eine ganz besondere Form von Eis handeln! , dachte er. »Kannst du nicht reden, oder ist es für ein Götterkind unter seiner Würde, mit einem Namenlosen zu sprechen, der die Gunst der Götter eigentlich verwirkt hat und dem sie nun doch noch auf so wunderbare Weise zuteil wurde?«
    Es erfolgte keinerlei Reaktion.
    Einige Augenblicke lang überlegte er, ob er nicht doch einen Versuch unternehmen sollte, den Kasten zu öffnen. Aber dann entschied er sich, dies bleiben zu lassen. Besser, ich frage erst den Schamanen meines

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