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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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angezweifelt haben. Und heute suche ich einen Weg, auf dem die Menschen im vierten oder fünften Jahrtausend vor Christus den hohen Norden durchquert haben könnten.«
    »Warum hätten sie diese Reise unternehmen sollen?«, fragte Thornsten. »Was sollte sie dazu getrieben haben, ihr Leben aufs Spiel zu setzen? Das ist die Schlüsselfrage, junge Frau, wenn man vorgibt, sich für die Migrationen zu interessieren. Der Mensch zieht nicht ohne Notwendigkeit weiter, solange er nicht verhungert, verdurstet oder verfolgt, kurz, von seinem Überlebensinstinkt getrieben wird. Nehmen Sie Ihr eigenes Beispiel, Sie haben Ihr bequemes Zuhause verlassen, um in diese alte Kate zu kommen, weil Sie etwas brauchen, nicht wahr?«
    Keira sah mich an und suchte in meinen Augen die Antwort auf eine Frage, die ich erahnte. Konnten wir diesem Mann trauen oder nicht? Sollten wir das Risiko eingehen, ihm unsere Fragmente zu zeigen, sie zusammenzuführen, damit er Zeuge dieses Phänomens wurde? Mir war aufgefallen, dass dessen Intensität mit jedem Mal nachließ. Ich wollte lieber die Energie bewahren und unser wahres Anliegen möglichst geheim halten. Sie verstand mein kaum merkliches Kopfschütteln und wandte sich wieder Thornsten zu.
    »Also?«, drängte dieser.
    »Um eine Nachricht zu überbringen.«
    »Welche Art Nachricht?«

    »Eine wichtige.«
    »Und wem?«
    »Den Magistraten der Zivilisationen, die auf den verschiedenen Kontinenten lebten.«
    »Und wie hätten sie aus einer solchen Entfernung deren Existenz ahnen sollen?«
    »Sie konnten keine Gewissheit haben, aber ich kenne keinen Forscher, der beim Aufbruch genau weiß, was ihn am Ziel wirklich erwartet. Doch jene, an die ich denke, hatten genügend andere Völker getroffen, um davon auszugehen, dass auch die anderen Erdteile bevölkert waren. Ich habe den Beweis dafür, dass zur gleichen Zeit drei solcher Reisen zu weit entfernten Zielen unternommen wurden: eine in den Süden, eine in den Osten, bis hin nach China, und eine in den Westen. Fehlt nur noch der Norden, um meine Theorie zu bestätigen.«
    »Haben Sie wirklich den Beweis für diese Migrationen?«, fragte Thornsten argwöhnisch.
    Seine Stimme hatte sich verändert. Er rückte seinen Stuhl näher zu Keira hin, legte die Hand auf den Tisch und kratzte mit dem Nagel über das Holz.
    »Ich belüge Sie nicht«, versicherte Keira.
    »Sie meinen nicht zweimal hintereinander?«
    »Vorhin wollte ich einen ersten Kontakt zu Ihnen herstellen. Es heißt, Sie seien nicht einfach.«
    »Ich lebe zurückgezogen, bin deshalb aber kein Unmensch!«
    Thornsten musterte Keira. Sein Blick war so durchdringend, dass es schwer war, ihm standzuhalten. Dann erhob er sich und ließ uns eine Weile allein.
    »Hinterher reden wir über die Sterne«, rief er aus dem Wohnzimmer. »Ich habe unsere Abmachung nicht vergessen.«
    Er kam mit einer langen Papprolle zurück, aus der er eine Karte zog und auf dem Tisch ausbreitete. Die Ecken beschwerte
er mit unseren Kaffeetassen und einem Aschenbecher.
    »So«, sagte er, als das große Planiglob vor uns lag, und deutete auf den Norden Russlands. »Wenn diese Reise wirklich stattgefunden hat, hatten Ihre Boten mehrere Möglichkeiten. Einmal die Strecke über die Mongolei und Russland bis zur Beringstraße - wie Sie glauben. Zu dieser Zeit verfügten die sumerischen Völker bereits über Boote, die robust genug waren, um an den Eisbergen entlang bis zur Beaufortsee zu fahren, auch wenn nichts beweist, dass sie diesen Weg tatsächlich gewählt haben. Eine andere Route führt über Norwegen, die Faröer-Inseln, Island, entlang der grönländischen Küste und über die Baffin-Bucht zur Beaufortsee. Angenommen, sie hätten die Polarkälte überlebt, sich unterwegs von Fisch ernähren können und wären nicht von wilden Tieren zerfetzt worden, wäre auch dies möglich gewesen.«
    »Möglich oder plausibel?«, beharrte Keira.
    »Ich habe die These vertreten, dass solche Reisen zwanzigtausend Jahre vor unserer Zeit von Menschen kaukasischen Ursprungs unternommen wurden. Ich habe auch die Behauptung aufgestellt, dass sich die Sumerer nicht nur an den Ufern des Euphrat und Tigris angesiedelt haben, weil sie gelernt hatten, Dinkel zu lagern, aber niemand hat mir geglaubt.«
    »Warum sprechen Sie von den Sumerern?«, fragte Keira.
    »Weil sie eines der ersten Völker, wenn nicht überhaupt das erste waren, die eine Schrift entwickelt haben, will heißen, ein Werkzeug, um ihre Sprache niederzuschreiben. Darüber hinaus

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