Die erste Nacht - Roman
möchten einen Anthropologen besuchen, der sich hierher zurückgezogen hat, einen gewissen Yann Thornsten. Kennen Sie ihn?«, fragte Keira.
Die Bäuerin zuckte mit den Schultern und verließ die Küche. Keira und ich sahen uns verblüfft an.
»Du hast mich gestern gefragt, wie ich die Chancen einschätze, dass uns dieser Thornsten empfängt. Ich revidiere meine Einschätzung nach unten«, flüsterte Keira.
Gleich nach dem Frühstück ging ich zum Stall, um mit dem Bauern zu sprechen. Als ich ihn nach Yann Thornsten fragte, verzog er das Gesicht.
»Erwartet er Sie?«
»Nicht direkt.«
»Dann empfängt er Sie mit einer Gewehrsalve. Dieser Holländer ist ein unangenehmer Zeitgenosse, sagt weder Guten Tag noch Auf Wiedersehen, ein richtiger Einsiedler. Wenn er einmal die Woche zum Einkaufen ins Dorf kommt, spricht er mit niemandem. Vor zwei Jahren hatte die Familie auf dem Nachbarhof ein Problem. Mitten in der Nacht bekam die Frau ihr Kind, und es gab Komplikationen. Sie mussten den Arzt holen, und der Wagen des Mannes sprang nicht an. Also ist er im strömenden Regen einen Kilometer über die Heide zu Thornsten gelaufen und hat ihn um Hilfe gebeten, doch der Holländer hat mit seinem Karabiner auf ihn geschossen. Das Baby hat nicht überlebt. Ich sage Ihnen, ein mieser Typ. Wenn man ihn eines Tages auf den Friedhof bringt, werden ihn nur der Pfarrer und der Schreiner begleiten.«
»Warum der Schreiner?«, fragte ich.
»Weil ihm der Leichenwagen gehört und auch das Pferd, das ihn zieht.«
Ich berichtete Keira von meinem Gespräch, und wir beschlossen, einen ausgiebigen Spaziergang an der Küste zu machen, um eine Annäherungsstrategie zu entwickeln.
»Ich gehe alleine zu ihm«, erklärte Keira.
»Sonst noch was? Kommt gar nicht infrage!«
»Auf eine Frau wird er nicht schießen, er hat keinen Grund, sich bedroht zu fühlen. Geschichten über schlechte Nachbarschaft gibt es zuhauf auf solchen Inseln. Dieser Mann ist sicher nicht so ein Monster, wie sie behaupten. Ich kenne mehr als einen, der auf alles schießt, was sich nachts bewegt.«
»Du pflegst ja netten Umgang!«
»Du setzt mich in der Nähe seines Hauses ab, und den Rest mache ich zu Fuß.«
»Ganz gewiss nicht!«
»Glaub mir, er wird nicht auf mich schießen, ich habe mehr Angst vor dem Rückflug als vor diesem Mann.«
Unsere Auseinandersetzung dauerte den ganzen Spaziergang an. Wir liefen an der Steilküste entlang und entdeckten kleine wilde Buchten. Keira vernarrte sich in einen Fischotter, das Tier war nicht scheu, unsere Anwesenheit schien ihm eher zu gefallen, und so folgte es uns in einigen Metern Abstand. Dieses Spiel dauerte über eine Stunde an. Der Wind war eisig, aber wenigstens regnete es nicht, und das Laufen war angenehm. Unterwegs trafen wir einen Mann, der vom Fischen kam. Wir fragten ihn nach dem Weg.
Sein Akzent war noch schlimmer als der unserer Gastfamilie.
»Wohin wollen Sie?«, knurrte er in seinen Bart.
»Nach Burravoe.«
»Das ist eine Stunde zu Fuß, aber in die andere Richtung«, sagte er und entfernte sich.
Keira ließ mich stehen und holte den Mann ein.
»Was für eine schöne Gegend«, sagte sie.
»Wenn man so will«, antwortete der Mann.
»Aber die Winter sind sicher hart, was?«, fuhr sie fort.
»Haben Sie noch mehr solchen Blödsinn auf Lager? Ich muss jetzt los und mein Essen machen.«
»Mister Thornsten?«
»Ich kenne niemanden dieses Namens«, gab der Mann zurück und beschleunigte den Schritt.
»Nachdem es nicht viele Menschen auf der Insel gibt, kann ich Ihnen das kaum glauben.«
»Glauben Sie, was Sie wollen, aber lassen Sie mich in Ruhe. Sie haben mich nach dem Weg gefragt und laufen jetzt genau in die entgegengesetzte Richtung. Also kehren Sie um.«
»Ich bin Archäologin, wir sind von weither gekommen, um Sie zu treffen.«
»Archäologin hin oder her, ich habe Ihnen gesagt, dass ich Ihren Thornsten nicht kenne.«
»Ich bitte Sie nur, uns ein paar Stunden zu widmen. Ich habe Ihre Arbeiten über die große paläolithische Migration gelesen und brauche Ihre Hilfe.«
Der Mann blieb stehen.
»Sie sehen aus wie eine Nervensäge, und ich will nicht gestört werden.«
»Und Sie sehen aus wie ein verbitterter, unangenehmer Mensch.«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, antwortete der Mann und musste plötzlich lächeln. »Ein Grund mehr, keine nähere Bekanntschaft zu schließen. In welcher Sprache soll ich Ihnen noch sagen, dass Sie mich in Frieden lassen sollen?«
»Versuchen Sie es
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