Die erste Todsuende
nach Luft rang. Er erschrak. Sanft massierte er sich den Leib. Schließlich gingen die Schmerzen weg, und zurück blieb ein bleiernes Völlegefühl. Da war irgend etwas, irgend etwas in ihm... Er schlief ein und hörte wie aus weiter Ferne die Geisterstimme rufen: „Daniel Blank... Daniel Blank..." Vielleicht bildete er es sich ja nur ein, aber er hatte das Gefühl, als ob die Stimme jetzt höher klang, ein fast weibliches Timbre hatte und geradezu liebevoll die einzelnen Silben seines Namens auskostete. Jemand, der ihn liebte, rief seinen Namen.
War es am zweiten Tag oder am dritten? Nun... es spielte keine Rolle. Jedenfalls flog ein Hubschrauber über ihn hinweg, tauchte herab und umkreiste dann seinen Turm. Mit angezogenen Beinen, das Gesicht auf den um die Knie geschlungenen Armen, hatte er dagesessen, und er hob den Kopf und starrte hinauf. Er überlegte, ob sie wohl auf ihn schießen oder eine Bombe abwerfen würden. Geduldig wartete er. Träumte. Aber sie flogen bloß in sehr niedriger Höhe drei- oder viermal über seinen Kopf; hinter den Scheiben sah er bleiche Gesichter, die zu ihm herunterstarrten. Er ließ den Kopf wieder sinken.
Sie kamen wieder, jeden Tag, und er bemühte sich, sie einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen, doch das heftige Knattern der Rotoren war störend. Einmal kamen sie derart niedrig über ihn hinweggeflogen, daß der Abwind seine Strickmütze vom Felsen wehte. Sie segelte ins All hinaus und fiel dann in die ausgreifenden dürren Äste der Winterbäume. Er sah ihr nach.
Eines Morgens - welcher Tag war heute? — wußte er, daß er seinen Darm entleeren mußte. Mit kraftlosen Fingern nestelte er an seinem Gürtel, schnallte ihn auf und ließ die Hose herunter; aber es gelang ihm nicht mehr, die geblümten Bikinihöschen herunterzustreifen. Es war qualvoll. Später streifte er die Hose über seine Füße, zog das Höschen aus und schüttelte es.
Neugierig betrachtete er seinen Kot, kleine schwarze Kügelchen, hart und rund wie Murmeln. Er schnippte sie eine nach der anderen mit dem Zeigefinger fort; sie rollten über das Gestein, über den Rand des Felsens. Er wußte, daß er nicht mehr die Kraft hatte, sich wieder anzuziehen; aber es gelang ihm, sich auch noch von Socken und Jacke und Hemd zu befreien. Dann war er nackt und bot seinen abgemagerten Körper der blassen Sonne dar.
Er verspürte weder Hunger noch Durst. Das Erstaunlichste war, daß ihn nicht fror, sondern daß eine schläfrige Wärme ihn einhüllte. Er wußte, daß er jetzt mehr und mehr schlief, und am vierten -oder war es am fünften — Tag wußte er nicht mehr, ob er wach war oder schlief.
Die Tage vergingen, ebenso die Nächte. Doch wo das eine begann und das andere endete, wußte er nicht. Zwischen Helligkeit und Dunkelheit gab es keine Grenzen mehr. Alles war Teil jenes einförmigen Graus, jenes warmen, zuweilen milchigen, jetzt geruchlosen Fließens. Es war ein großes friedliches Meer, ohne Grenzen; er wünschte, er hätte die Kraft, aufzustehen und nur noch einmal das silberne Band dieses Flusses zu sehen, der überall hinfloß.
Aber er konnte nicht mehr stehen, hatte sogar nicht einmal mehr die Kraft, diese dünne, klebrige Flüssigkeit fortzuwischen, die aus seinen Augen, aus seiner Nase und seinem Mund sickerte. Als er mit der Hand über seinen Körper tastete, fühlte er, daß seine Brustwarzen geschrumpft waren, seine Gelenke geschwollen, die Haut runzlig und faltig. Er hatte keine Schmerzen mehr, die Willenskraft ließ nach. Aber er hielt an ihr fest, um noch etwas länger denken zu können.
„Daniel Blank... Daniel Blank..." rief die Stimme verführerisch. Er wußte, wer es war, der da rief.
Am zweiten Tag mietete eine New Yorker Zeitung mit viel Unternehmungsgeist einen Hubschrauber; sie flogen über den Teufelszahn hinweg und schössen eine Reihe von Aufnahmen von dem mit angezogenen Beinen auf dem Felsen sitzenden Daniel Blank. Das Foto, das auf der ersten Seite der Zeitung prangte, zeigte ihn mit erhobenem Kopf, das blasse Gesicht zu dem ihn umkreisenden Hubschrauber emporgereckt.
Delaney wurmte es, daß er nicht vor ihnen auf den Gedanken gekommen war, einen Erkundungsflug zu machen, und nachdem er sich mit Major Barnes beraten hatte, wurden alle kommerziellen Flüge über dem Teufelszahn verboten. Der Presse gegenüber wurde das Verbot damit begründet, daß ein sich näherndes Kleinflugzeug oder heranfliegender Hubschrauber Blank dazu treiben könnte, sich in die Tiefe zu stürzen, oder
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