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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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aber ihn vom Plateau herunterwehen könnte.
    Im Grunde jedoch war Captain Delaney über die Veröffentlichung des Fotos ganz erleichtert; Danny-Boy war da oben, darüber gab es keinen Zweifel mehr. Gleichzeitig sorgte er, zusammen mit Barnes, dafür, daß dreimal täglich ein Hubschrauber der New York State Police den Schauplatz überflog. Es wurden Luftaufnahmen gemacht, und die Abzüge, teils stark vergrößerte Ausschnitte, wurden von den Spezialisten der Air Force analysiert. Nirgends eine Spur von Nahrungsmitteln oder Getränken. Als die Tage vergingen und Blank immer länger auf dem Rücken liegend in den Himmel starrte, wurde der körperliche Verfall zusehends deutlicher.
    Am ersten Flug nahm Delaney teil. Er fuhr mit Chief Forrest und Captain Sneed gen Norden, um sich auf dem Flugplatz von Newburgh mit Major Barnes zu treffen. Es war das erste Mal, daß sie einander persönlich gegenübertraten. Sam Barnes war wie seine Stimme: hart, verschlossen, temperamentvoll. Sein Verhalten war kühl und reserviert, seine Bewegungen rasch und knapp. Auf Formalitäten verschwendete er wenig Zeit, sondern drängte sie, rasch in den wartenden Hubschrauber zu steigen.
    Auf dem kurzen Flug nach Süden sprach er nur mit Delaney. Der Captain erfuhr, daß der Major sich bei seinem zuständigen Polizeiarzt erkundigt hatte und wußte, was Delaney längst bekannt war: Ohne feste Nahrung und ohne Flüssigkeitszufuhr konnte Blank etwa zehn Tage durchhalten. Der Major verfolgte genau wie der Captain täglich die langfristigen Wettervorhersagen. Das allgemein freundliche Wetter sollte noch etwas anhalten, die Temperaturen allerdings allmählich sinken. Es hieß, über Nordwest-Kanada baue sich ein Tiefdrucksystem auf, das man im Auge behalten müsse.

    Sie sprachen gerade über die Möglichkeiten, die ihnen offenstünden, da kam der Teufelszahn in Sicht, und der Hubschrauber ging tiefer hinab, um den Felspfeiler zu umkreisen. Alle Unterhaltung erstarb, und sie starrten durch die Fenster auf das Plateau unter ihnen. Plötzlich wurde es kalt: Ein Besatzungsmitglied hatte die Ladeluke aufgeschoben, und ein Polizeifotograf brachte seinen Apparat mit dem aufgesetzten Teleobjektiv in Anschlag.
    Captain Delaney erschrak, wie winzig Daniel Blanks Lebensraum war. Chief Forrest hatte gesagt, das Plateau sei etwa so groß wie ein Doppelbett, doch wenn man aus der Höhe hinunterblickte, war es kaum zu begreifen, wie Blank sich dort auch nur eine Stunde aufhalten konnte, ohne in die Tiefe zu stürzen.
    Als der Hubschrauber noch weiter hinunterging und der Fotograf knipste und knipste, überkam Delaney ein Gefühl ehrfürchtiger Scheu; den anderen Beamten schien es ähnlich zu gehen. Wie er aus dieser Höhe hinabblickte und Blank auf seinem steinernen Horst sitzen sah und die bleichen, nach oben gewandten Gesichter der Männer unten am Fuß des Teufelszahns erkannte, ergriff ihn ein ehrfurchtsvolles Staunen über die strenge Abgeschiedenheit dieses Mannes, und er fragte sich, wie er sie ertragen konnte.

    Es war nicht die gefährliche Höhe, in der er Zuflucht gesucht hatte, sondern die absolute Einsamkeit des Mannes, sein bewußtes Abtrennen vom Leben und den Lebenden. Blank schien, wie er da auf dem Felsen lag, in der Luft zu schweben, losgelöst, ohne Verankerung.
    Der Wahnsinn war es, der einen so erschreckte, das ohne Anker Dahintreiben. Es war ein Ur-Schrecken, der einem tief in die Glieder fuhr und etwas anrührte, das Zivilisation und Kultur überkleistert hatten. Da wurden Jahrmillionen einfach heruntergerissen, und es hieß: „Schau!" Es war die Finsternis.
    Später, als ihm zusammen mit kurzen Analysen der Spezialisten von der Air Force Abzüge von den Luftaufnahmen gebracht wurden, nahm er einen und heftete ihn mit Reißnägeln an die Außenwand der Blockhütte. Die Neugier, die dem Foto entgegengebracht wurde, verwunderte ihn keineswegs, denn er glaubte, daß die Männer genau wie er von der Unsicherheit geplagt worden waren, ob ihre Beute denn tatsächlich da oben war und ob es überhaupt einen Menschen geben konnte, der eine solche Art der Selbstauslöschung bewußt suchte und akzeptierte.
    Der Wachdienst war inzwischen richtig organisiert worden: Es gab Dienstpläne, die täglich verfielfältigt wurden. Es standen genug Beamte zur Verfügung, um jeden Posten rund um die Uhr zu besetzen, und die riesigen Scheinwerfer, gespeist von dem Generatorenwagen der New Yorker Polizei, sorgten dafür, daß der Teufelszahn vierundzwanzig Stunden

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