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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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am Tag in gleißendes Licht getaucht war.
    Captain Delaney verfügte über einen Propangasofen in seiner Hütte, und auf dem Tisch des Parkwächters hatte man ein großes Sende- und Empfangsgerät aufgebaut. Die Funker hatten wenig zu tun, und um sich die Zeit zu vertreiben, hatten sie gebastelt: Sie hatten ihrem Tonbandgerät einen Zeitgeber vorgeschaltet, der ein Endlosband startete und stoppte, so daß nun automatisch im Abstand von einer Stunde über den Lautsprecher der Appell ertönte: „Daniel Blank... Daniel Blank... kommen Sie herunter... kommen Sie herunter..." Es nützte nichts. Mittlerweile erwartete auch niemand mehr, daß es etwas nützte.
    Am Abend verließ Captain Delaney die Blockhütte, um sich mit einem der Scharfschützen zu unterhalten. Er ging zuerst den Pfad zum Teufelszahn entlang und bog dann ab zu der Stelle, wo der jeweils diensttuende Scharfschütze postiert war. Die drei bleichgesichtigen Männer hatten inzwischen ihren Schießstand verbessert.
    Sie hatten einen Picknicktisch mit angeschraubten Bänken herbeigeschafft und irgendwo drei Sandsäcke aufgetrieben - dabei hatte ihnen sicherlich Chief Forrest geholfen, dachte Delaney -, die sie als Gewehrauflage benutzten. Die Scharfschützen konnten während ihrer Wache sitzen und waren durch Zeltplanen, die sie zwischen den Bäumen aufgespannt hatten, gegen den Wind geschützt.
    Der Mann, der gerade Dienst hatte, blickte auf, als Delaney herankam.
    „Hallo, Captain."
    „Hallo. Wie steht's?"
    „Alles ruhig."
    Delaney wußte, daß die drei Scharfschützen kaum Kontakt mit den anderen Männern hatten: Sie galten, ähnlich wie Henker oder Scharfrichter, als Parias. Doch soweit sie sich dessen überhaupt bewußt waren, machte es ihnen offenbar nichts aus. Alle drei waren sehr groß und sehr dünn. Zwei von ihnen stammten aus Kentucky, einer aus North Carolina. Wenn Delaney sich in ihrer Gegenwart nicht recht wohl fühlte, so lag das eher an ihrer lakonischen Art als an dem Beruf, den sie gewählt hatten.

    „Ein frohes neues Jahr", sagte der Scharfschütze.
    Delaney starrte ihn verdutzt an. „Mein Gott ,habenwirschon..."
    „Ja. Heute ist Silvester."
    „Oh, dann wünsche ich auch Ihnen ein frohes neues Jahr. Ich hatte es völlig vergessen."
    Der Mann schwieg. Captain Delaney warf einen Blick auf das Gewehr mit dem aufmontierten Zielfernrohr. Es lag schußbereit auf den Sandsäcken.
    „Eine Springfield", sagte Delaney. „So eine habe ich seit Jahren nicht mehr zu sehen gekriegt."
    „Ich hab sie aus Army-Beständen erworben", sagte der Mann. Er ließ den Teufelszahn nicht einen Moment aus den Augen.
    „Aha." Delaney nickte. „Genauso bin ich an meinen Colt gekommen."
    Der Mann gab einen kurzen Laut von sich. Delaney hoffte, daß es ein freundliches Lachen war.
    „Ach übrigens", sagte Delaney, „halten Sie es für möglich, eine Gasgranate dort hinaufzubefördern?"
    Der Scharfschütze blickte zur Spitze des Felspfeilers hinauf. „Mit 'm Gewehr oder mit'm Geschütz?"
    „Egal wie."
    „Mit einem Geschütz - nein. Mit einem Gewehr - vielleicht. Aber das Ding würde nicht liegenbleiben. Würde runterkullern, oder er würde mit einem Fußtritt nachhelfen."
    „Ja, wahrscheinlich." Captain Delaney seufzte. „Wir könnten die Gegend räumen und alles mit einer Gasdecke überziehen, aber der Wind ist zu unbeständig."
    „Ja."
    Der Captain machte sich wieder auf den Weg. Nur einmal blickte er zu dem steil aufragenden Felsen hin. War er wirklich dort oben? Das Unbehagen stellte sich wieder ein.
    Er kehrte in die Blockhütte zurück und fand dort einen dicken Umschlag mit Berichten vor, den ein Mann, der aus Chilton zum Dienst gekommen war, für ihn mitgebracht hatte. Es waren Berichte von Sergeant MacDonald über die Vernehmungen und Aussagen der Leute, auf die man im weiteren Verlauf der Untersuchung gestoßen war. Delaney ging zu dem Verpflegungswagen hinüber und holte sich einen Pappbecher voll schwarzen Kaffees. Wieder in der Hütte, zog er die Lampe näher zu sich herüber, setzte seine starke Brille auf und las die Berichte in aller Ruhe.
    Er suchte nach... wonach? Nach irgendeiner Erklärung oder einer Fährte oder einem Hinweis. Was hatte aus Daniel G. Blank einen Mörder gemacht? Wo und wann hatte es angefangen? Das Motiv war es, wonach er suchte. Es nützte nichts, Worte wie wahnsinnig, verrückt, geistesgestört, homosexuell oder psychopathisch zu benutzen. Jedes dieser Worte war nur ein Etikett. Es mußte mehr dahinterstecken.

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