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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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suchte ein Pärchen der delikaten kleinen Würste heraus und bot sie
    mir an.
    Wir können gleich Vesper halten , meinte er, als wir die Kiste geleert und
    den Inhalt in die Fächer des Kastens verteilt hatten.
    Hast du nichts zu trinken? Die Würste sind gesalzen.
    Wasser, wenn du willst.
    Ich erinnerte mich einer halben Flasche Bier, die ich vom Nachmittag übrig
    hatte. Ich holte sie herbei und wir bewirteten einander fröhlich, bis es zum Prezieren läutete.
    Von diesem Sonntag an waren wir befreundet und unzertrennlich. Er suchte
    bei mir Bücher und allerlei Rat. Ich liebte an ihm eine feine und oft humorvolle Art abgesonderter Lebensführung. Er war sehr begabt, aber weniger als ich ein Freund des Viellesens und Philosophierens. Aus einem reichen Hause brachte
    er mehrere weltmännische Gewohnheiten mit, war aber gut und sogar streng
    erzogen. Ich erinnere mich, daß er gerne kleine Geschenke machte. Dagegen
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    fiel mir auf, daß er niemals Geld borgte oder auslieh, was unter uns andern
    täglich geschah.
    Während meine Unzufriedenheit wuchs und meine Stimmung oft zur Schwer-
    mut neigte, genoß ich die erste Freundschaft mit der stürmischen Leidenschaft, welche ich sonst für Träume und dichterische Ideale besaß. Ihr stummen Wild-wanderungen! Ihr Mittage, die wir in den hohen Ästen der Felseneiche ver-
    brachten! Ihr Mondabende unter den hohen Bogenfenstern des Oratoriums!
    Uns beide trieb dasselbe Ungenügen von der Arbeit zum Walde, von da zu
    unsern Dichtern, von diesen zur Musik und zu eigenem Dichten. Dann eines
    Tages brachte mir Erwin ein beschriebenes Blatt. Er hatte sich in Hexametern versucht. Ich erstaunte vor seinen sicher und sehr sorgfältig gegossenen Versen und mußte beim Austausch solcher Formversuche mich bald bequemen, mehr
    der Nehmende als der Geber zu sein. In späteren Jahren fand ich bei meinem
    Freund ein Gedicht in Hexametern, welches auf unsre Waldgänge und auf
    Verse, die er damals schrieb, zurückging. Unser Weiher war darin gemalt –
    – Furchtsam rauscht aus dem Busch das Reh und bückt sich zu
    trinken,
    Oft belauscht’ ich dich dort! Und oftmals neigt’ ich das eigen
    Haupt zum Weiher und schaute mein Bild in ruhigem Wasser
    Bleich und verträumt, und trank, und trank ein süßes Vergessen –
    Damals fand Erwin eines Tages bei mir jenes Karikaturenheft. Er blätterte
    darin.
    Soll das der Caeso sein?
    Freilich. Ist er nicht sehr ähnlich?
    Wer weiß! – Aber hör, die Dinger sind scheußlich gezeichnet. Darf ich das
    Heft verbrennen?
    Warum? Wir haben viel Spaß davon gehabt.
    Mir gefällt’s nicht. Es ist eine frevelhafte Malerei. Gib mirs.
    Ich überließ ihm das Heft, das er wirklich verbrannte. In ihm regte sich
    damals die erste Liebe zur bildenden Kunst, er begann sich für die Ornamente der Klosterkirche und für die Kupferstiche der Bibliothek zu interessieren. Und ihm war alles, was er liebte und studierte, heilig und unantastbar. Er lehrte mich zuerst den Kult der Schönheit und eine religiöse Verehrung der Kunst.
    Wir lasen Preller’s Mythologie und einige historische Werke miteinander,
    welche Lektüre ich ohne seine ruhige Teilnahme nicht bezwungen hätte. Ich
    las nach wie vor im Stillen Ossian, Schubart, Schiller, mit heißer Stirne und lüstern nach Sensationen.
    Den langen, harten Winter hindurch wurde mir das klösterliche Leben täglich
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    mehr verleidet. Ich vermißte immer schwerer, besonders nach dem kurzen
    Weihnachtsbesuch in der Heimat, alle gefälligen Lebensformen, allerlei Frei-
    heiten und kleine Freuden. Besonders schien es mir immer unerträglicher, zu
    Schlaf und Arbeit mit andern zusammengesperrt zu sein.
    Erwin, dem eine liebenswürdige Resignation eigen war, blieb ruhig in seiner
    stetigen Arbeit, während ich die Studien über der Lektüre versäumte und mich mit trotziger Genugtuung von den Lehrern getadelt oder vernachlässigt fand.
    Die Spiele und der ganze Ton unsrer Geselligkeit wurden allmählich ruhiger
    und ernster, alles Jungenhafte wurde verpönt – wir begannen uns zu erziehen.
    Es gab anerkannte Lichter und Tugendhelden, es gab dauernde Freundschaf-
    ten und Feindschaften, die allgemeine ehrliche Ausgelassenheit und Grobheit
    verschwand. Dagegen wurde ein mathematischer und ein hebräischer Verein
    gegründet. Zwischen Einzelnen und ganzen Stuben und Gruppen wuchsen
    Spannungen, welche sich nur noch in witzig scharfer Weise Luft machen durf-
    ten. Da kam irgendein Erfinder auf eine neue, zündende Idee.
    Eines

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