Die Erzaehlungen 1900-1906
ich, sehr schlank und aufrecht, mit schönen, ruhigen, vornehmen Gliedern.
Beim zweiten Blick erkannte ich ihn und hielt ihn lange an meine Brust
gedrückt.
Erwin war schön geworden. Sein Gesicht, dessen
klassische Nase
im Klo-
ster sprichwörtlich war, hatte eine helle, gleichmäßige Blässe und die Stirne ein klares Licht. Die Lippen waren voll und röter als früher. Seine Augen, in welche ich vormals verliebt gewesen war, hatten einen reinen, gütigen Blick, wie ich ihn nur an Jünglingen kenne, die durch Leiden und fortwährenden
Ernst der Gedanken frühreif sind. An diesen großen, verklärten Augen sah ich auch, daß Erwin krank war. Sie hatten den Glanz, aus welchem man gewissen
Kindern ein kurzes Leben prophezeit.
Er saß im Dämmer und später in der Dunkelheit neben mir; seine schmale
Hand lag leicht in der meinen, und der Klang seiner Stimme fand den Weg in
mein Herz durch seine Lieblingserinnerungen.
Wir sprachen nicht davon, aber wir dachten beide an die Herbststunde am
Waldweiher. Spät ging er leise weg.
Ich sah ihn dann drei Wochen lang jeden Tag. Wir hatten keine Heimlich-
keiten voreinander, nur von seiner Krankheit sprach er nichts, und ich fragte nicht. Eines Morgens fügte es sich im Gespräch, daß er davon reden mußte.
Laß mich’s kurz sagen , bat er.
Es ist unheilbar; aber es wird vermutlich
langsam fortschreiten. Ich habe, denk ich, noch Jahre vor mir.
Tags darauf kam seine Mutter an. Ich wurde ganz in die kleine Gesellschaft
gezogen. Sie war noch schön und ihm ähnlich, aber kräftig und gesund, und
hatte herzgewinnende Mutteraugen.
Uns beiden las Erwin, auf der Hängematte sitzend, im Walde eine Dichtung
vor, welche er
Steinerne Götter
betitelt hatte.
Das waren feine, rhythmische Sätze und zarte, an die Seele pochende Wor-
te; wir fühlten den weißen Blick der Statuen auf uns haften, und sahen ihre
abgebrochenen Hände und Arme, und blickten tiefer in das Rätsel ihrer toten
Augen. Erwin erzählte von einem römischen Frühling, den er in diesem Jahr
gesehen hatte, von den grünen Albanerbergen und noch mehr von der ewi-
gen Stadt, von jenen schönheitbekränzten Gärten und Villen, deren berühmte
Namen schon die Sehnsucht unsrer Knabenzeit mit Ehrfurcht und Verlangen
gehört hatte. Er erzählte von südlichen Festen und Gondelfahrten, wobei er
oft die Mutter um Bestätigung oder um vergessene Namen der Dörfer und
Küsten und Berge bat. Ich aber mußte an die Träume seiner Klosterabende
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denken, in welchen immer bekränzte Schiffe und buntfarben erhellte Abende
vorkamen. Dann nannte er mit Ehrfurcht Sankt Peter, die Sixtina, die Floren-
tiner Paläste und sprach mit dankbarer Liebe von Sandro Botticelli, welcher
sein und mein Liebling war.
Des Abends saß er gerne plaudernd abseits vom Kreis des Lampenlichtes,
oder zuhörend, wenn ich vorlas. Wir lasen Novalis und knüpften an seine
tiefen, wunderbaren Fragmente viele Gespräche und Phantasien. Ein bekann-
ter Sänger kam manchen Abend, der in Erwins Stadthaus ein ständiger Gast
war. Er spielte auf dem Klavier alle Lieblingssachen des Kranken, dem das
eigene Spiel abends untersagt war. Einige Suiten und Gavotten von Bach,
einige Beethovensonaten, zumal die dreiundzwanzigste, und Chopins Noctur-
nen wurden uns besonders teuer. Vom Singenhören wurde Erwin meistens
traurig gestimmt, weil dem Lungenkranken schon lange der Gesang verboten
war. Doch liebte er einige ältere Balladen und die Lieder Schumanns. Einmal
brachte der Sänger eine bekannte englische Ballade mit. Es war ein schwerer
Augustabend, ein Regen stand bevor. Der Musiker war ernst gestimmt und
vergaß sich gegen den Kranken. Erließ in dieser herrlichen Ballade, welche mit der tiefsten Kenntnis des Zaubers der männlichen Stimme erfunden ist, seine
schöne Stimme im vollen Brustton sich heben. Aller Zauber der Erinnerung
an die Jugend, an die ersten Spiele und Waldgänge, spricht stark und ergrei-
fend aus den Versen dieser Ballade. Mir schlug das Herz heiß und beklemmend
vor den schwellenden Tönen, Erwin aber ging leise aus dem Zimmer. Ich hörte
sein verhaltenes Schluchzen. Er kam wieder, nachdem der Sänger weggegangen
war, und setzte sich zwischen mich und die Mutter.
Verzeih, Mutter!
sagte er schmeichelnd.
Es war bloß ein Erschrecken,
eine plötzliche Hilflosigkeit und Angst. In diesem Lied ist alles das gesungen, was meine Erinnerung am meisten wert hält und was ich am meisten
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