Die Erzaehlungen
Malcorn besorgt.
»Nebel ist, greulicher, dicker Nebel. Man sieht nicht drei Schritte vor sich. Das legt sich so in die Kleider und auf die Lunge. Wenn nur erst die Herbsttage wieder vorüber wären.«
Marie Holzer hat inzwischen den Inhalt der Mappe flüchtig durchgesehen. Sie wendet ihre ruhigen, klugen Augen zu Harald.
»Hast du heute gesprochen?«
»Ja, im Studentenverein.« »Nun und? ..«
»Was?«
»Wie wars?«
Harald sieht auf seine fröstelnden Hände. »Na, wie immer, du weißt ja. Bist du schon lange hier?«
Frau Malcorn beeilt sich teilzunehmen. »Ich war so froh, sie hier zu haben. Mir war schon bange nach dir, Harald.«
»Ja, Mama, du weißt ja: ich bin nicht Herr meiner Zeit.« Haralds Stimme und seine Bewegungen haben noch die Maße des Saales, und es fällt ihm schwer, sie an die kleine Stube zu gewöhnen. Deshalb wendet er sich an Marie. »Aber, wollen wir das nicht gleich durchsehen? …«
Die Holzer bemerkt die Enttäuschung von Haralds Mutter und versucht ihn zurückzuhalten. »Nein, Harald, jetzt will ich dich erst mal wiedersehen, weißt du. Wenn du deine Augen erst wieder in diese schrecklichen Papiere steckst, sind sie mir ja doch für heute verloren. Und ich hab doch auch ein Recht auf sie nicht?«
»Ja, ja, Marie,« und Harald ist es, als ob man etwas ausgedacht hätte, um ihn zu quälen. »Ihr habt alle ein Recht auf mich, ich weiß. Alle, alle, alle …«
Frau Malcorn ist sehr erschrocken. »Komm, setz dich da an den Ofen, du mußt ganz durchgekältet sein.«
»Ja, ja, an den Ofen, immer sich an den Ofen setzen, hinter den Ofen womöglich …« Aber plötzlich tritt Harald auf die Mutter zu, ganz beschämt. »Mama, verzeih mir … Du siehst, es steckt wieder mal so ein boshafter Ärger in mir, der noch nicht herauskam. Marie weiß, das hat nichts zu bedeuten, nicht wahr? Das kommt schon so mit. Und hier soll er mir, weiß Gott, nicht heraus, hier nicht!« Er führt Frau Malcorn sanft zu ihrem Lieblingsplatz bei der Lampe, und seine Stimme findet eine ungeahnte Zärtlichkeit. »Du hast ganz rote Augen, Mama. Wahrhaftig, deine Augen sind ganz rot! Hast du mir auch nicht zu viel gearbeitet? Was? Dieses schreckliche Rot in deinem Stickmuster … Ja, muß es denn gerade dieses Rot sein, dieses blutige? Was wird es denn überhaupt?«
Frau Malcorn kann so viel Glück gar nicht glauben. »Ein Tischläufer «, sagt sie leise, mit vor Rührung zitternder Stimme.
»Soso« macht Harald, schon wieder weit, von ganz Fremdem erfüllt, und wendet sich an Marie. »Es ist nämlich wichtig, daß wir die Sache heute noch erledigen. Es kommt jetzt so viel. Als ob es auch in den Herzen nicht Tag würde jetzt, wie draußen. So viel Elend überall. Physisches Elend, Not, Armut, Krankheit; geistiges Elend, Dünkel, Vorurteil und Eigennutz. Und zu allem: Das Beharren darin, die Trägheit. Die fürchterliche, dumpfe, unheilbare Trägheit! Dieses große Joch des Gestern, in dem sie alle gehen. Sie haben ihre Leiden und ihre Freuden. Unbedeutende, gehässige Schmerzen und ein banges, falsches, ängstliches Glück. Aber sie bleiben dabei. Versuchs, sie heraus zu heben: sie wehren sich. Und reißt du sie einfach los von ihrer armseligen Gewohnheit, so sind sie wie Ausgestoßene und wollen zurück in die Pesthütte ihrer Vergangenheit. Alles umsonst.« Und nach einer ratlosen Pause: »Und dabei hat man doch diesen ehrlichen Willen, diese ehrfürchtige Kraft, die nicht herrschen will, die bereit ist zu dienen und die kleinste, geringste Arbeit nicht scheut, wenn sie nur auf dem Wege nach vorwärts liegt. Du weißt doch, Marie, wie gut, wie gerne ich überzeugt bin vom Ziel, nicht wahr? Du weißt doch, aus welcher Tiefe mir das alles kommt? Du hasts ja selbst einmal empfunden, nicht?«
»Lieber, ich empfind es jeden Tag wieder!«
»Und du glaubst an mich?«
»Wie an die Sonne.«
Da hält Harald ihr dankbar die Hand hin und fragt: »Heißt das: Blüten oder Früchte glauben?«
»Beides. Eines nach dem andern, Harald.«
»Eines nach dem andern? … Das braucht Zeit, Marie, viel Zeit …«
»Wir sind jung.«
»… und Geduld …«
»Die hast du.«
»Weißt du das so bestimmt?«
»Weil du die Liebe hast, Harald.«
Beide schweigen. Bis Harald, wie erleichtert, aufatmet: »Dank dir.« Und gleich darauf versucht er wieder froh zu sein. »So … du, … Mama, sag, darf ich mir mal den Läufer ansehen; deine Arbeit?«
Frau Malcorn will es lächelnd verwehren. Aber nun wird der Läufer geholt und unter
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