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Die Erzaehlungen

Die Erzaehlungen

Titel: Die Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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zwar, mit verdunkeltem Namen und nur als kleiner, abhängiger König. Nach ihm bleiben sie eine Weile obenauf, und erscheinen nochmals in der Geschichte, zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Aber schnell ermatten sie in kleinen Händeln und feindseligen Streitereien und lassen, ohnmächtig, den alten Namen los. Und er fällt, fällt lang bis auf die alten Heidenkönige zurück … Und ich ich kam gerade in eine Namenlosigkeit hinein.« Niemand sagt etwas. Nur die Uhr spricht darüber, in ihrer milden altmodischen Art. Beim achten Schlag erinnert sich Harald an etwas.
    »Wie ein Dichter … Wer hat das gesagt? Du, Marie? Aber du bist nicht die erste! Lang vor dir hats eine Stimme ausgesprochen, tief in mir: Dichter! Ich kann nichts dafür. Weißt du, es war dort, wo man nicht hinreicht. In jenem Dunkel, wo ein anderer Macht hat, war es … Künstler sein, jung sein! Als ob das dasselbe wäre nicht?« Und plötzlich durchbricht es seinen Willen: »Möchtet ihr, daß ich ein Künstler wäre?« Pause. »Sag, Mama?«
    »Bliebst du dann bei mir, zu Hause?«
    »Wer weiß. Ich kann nicht davon reden. Vielleicht. Vielleicht hat man dann alles in sich. Vielleicht giebt es dann nichts, was man nicht in sich hat. Vielleicht … Möchtest du’s, Marie?«
    »Daß du ein Künstler wärst? Ich glaube, du bists, Harald.«
    »Du irrst dich, Kind. Gewiß! Du siehst das alles zu licht. Du hast so viel Licht in dir für alles. Ich bin es nicht. Ich hätte es sein können vielleicht. Ich hätte es bleiben können, obwohl ich es noch nie war. Es ist zu spät.« Und ganz erregt tritt er auf Marie zu:
    »Du sagtest früher, ich habe die Liebe, Marie. Ja, hab ich sie denn? Hab ich sie nicht vergeudet, ausgestreut mit vollen Händen? Ist das nicht mein Leben gewesen, sie zu verschwenden, seit zwei, seit drei Jahren, bis zu diesem Augenblick? Kann ich über sie verfügen, da Hunderte sich daran halten? Und wenn ich sie zurück begehre von ihnen, was soll ich tun mit dieser Liebe, die die Spuren von hundert krampfhaften Händen trägt, die abgenutzt, alt, welk geworden ist? Und das nicht hinter ihrem Sommer etwa. O nein! Ich habe sie gar nicht reif werden lassen; ich habe den Hungernden diese grünen Früchte zugeworfen: Da! da! da! … und sie konnten doch nicht satt und nicht gesund werden davon!
    Warum kamst du mir damals die Hand reichen, Marie? Damals war es noch Zeit. Damals hätt ich noch retten können und sparen.
    Ich will dich nicht anklagen nein! Nur ›Künstler‹ darfst du mich nicht nennen. Das ist wie ein Hohn, wenn du das tust …« Und da beginnt er leise zu husten, so daß Frau Malcorns Augen starr und bange werden; aber Marie Holzer achtet jetzt nicht darauf. Sie fühlt die Verpflichtung zu antworten.
    »Du bist erregt, Harald. Du hast kein Recht, so zu reden. Du bist durch Siege gegangen! Du darfst nicht wankelmütig werden! Du hast gewußt, was du willst. Muß ich dich daran erinnern?« Sie läßt sich von Haralds abwehrender Bewegung nichts befehlen. »Ich danke dir alles, auch meine Zuversicht. Du hast sie mir gegeben. Sie ist mein Besitz. Und wenn du sie wieder willst, nicht ohne Kampf!«
    Harald fühlt den Husten kommen, und so sagt er nur rasch und hart:
    »Du machst so große Worte, Marie.«
    »Es sind deine eigenen, die ich dir wiedergebe alle, auch dieses: Kleingläubiger! Kannst du deinen Sommer nicht abwarten? Nicht halbreife Früchte, Samen hast du ausgestreut an hundert Stellen, und also mußt du warten auf hundert Ernten.«
    Die Holzer erwartet eine Antwort, eine, die alles wieder gut macht. Aber Harald nickt nur, es scheint ihm so gleichgültig jetzt. Und dann fürchtet er den Husten, der kommt. Und seine Mutter sieht ihn immerfort an.
    Da nimmt Marie noch einmal alle Kraft zusammen, und ihre Worte sind warm und unbefangen. »Hab Mut, Harald! Du bist ungerecht. Denk! Einmal hast du gesagt, wörtlich: ›Ich möchte wohl Künstler sein, aber noch ist es nicht Zeit für die Kunst‹ …«
    »Hab ich das …? Verzeih also.« Es klingt fast spöttisch.
    Aber Marie Holzer giebt nicht nach: »Ist nicht ein helfendes Leben ein zehnfaches? Haben wir nicht eine sehr stolze Pflicht? Macht uns das nicht reich? Wissen wir nicht unsern Weg, Harald? Sind wir nicht Sieger? Harald, glaubst du an uns?«
    Er muß doch die Hand sehen, die Marie Holzer ihm hinstreckt. Aber trotzdem geht er vorbei, geht auf die Mutter zu, die ihn bange erwartet, und sagt langsam im Gehen: »Ich bin müde …«
    Und die Holzer sieht, wie er

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