Die Erzaehlungen
und sie zieht einen niedrigen Stuhl, auch mit Fell, zu sich her. Erhard legt, wie in Gedanken, seinen Hut fort und setzt sich. »Sie sind fremd?«
»Ja«, erwidert Erhard, »ich bin sozusagen , mich hat nur das Haus …« Und wieder verwirrt er sich. Er fühlt, in diesem Zimmer schmeichelt Alles, die Kissen schmiegen sich ihm an den Rücken, und in den Handflächen fühlt er das Fell, wie Katzenzungen, die ihn leise lecken.
Plötzlich lehnt sich die Frau zurück, legt die Arme hinter den Kopf, breit, wie ein Kissen, und fragt in anderem Ton: »Wie lange ist es her, seit wir uns damals gesehen haben?«
Erhard versteht nicht. »Waa ?« macht er.
»Nun, es war doch in Berlin, bei Kroll «
Erhard wird ganz ruhig: »Nein,« sagt er, »Sie irren wohl; ich bin Erhard Stilfried, Musterzeichner. « Und er hat die Absicht zu gehen. Sie scheint ihn gar nicht gehört zu haben; aber da wirft sie sich plötzlich nach vorn und lacht: »In München war es .« Erhard versucht wieder aufzustehen. Aber ihr Lachen macht ihn schwindlich.
»In München! Und du tust, als wüßtest du von nichts, auf der Oktoberwiese…«
»Nein«, wehrt Erhard nochmals unsicher. »Sie irren wohl, ich …« Und in demselben Augenblick fällt ihm ein Mädchen ein, vor anderthalb Jahren in München, ja ja, in München, eine Nacht die einzige Nacht in diesen zwei Jahren. Er mußte damals etwas zu viel getrunken haben, und das Mädchen: und mit einemmale weiß er alles. Freilich, das Mädchen war so scheint es ihm schmal, schmächtig, etwas blaß … und diese ? Er macht den Versuch, sie zu betrachten. Sie hat nur auf diesen Blick gelauert. Sie fängt ihn auf, spielt mit ihm, läßt ihn fallen in ihren Schooß, hebt ihn in ihr Haar, das sich unversehens löst … Dabei spricht sie in einem fort, lauter kleine, kurze, gleichsam runde Worte, nennt ihn »du« und noch mit einem anderen, irgendwie klebrigen Namen, den er haßt. Und es wird ihm ganz klar: nein, jenes Mädchen ist es nicht, gewiß nicht. Und das Mädchen, das er nur einmal, in jener Nacht in München, gesehen hat, steht im Geiste deutlich vor ihm: blaß, schmal. Und entschlossen steht er auf. Aber da fällt ihm ein: Woher weiß aber diese davon? Und gleich darauf beruhigt er sich: Sie weiß nicht , sie versucht eben. Und er sagt: »Übrigens ich eile zum Zuge, ich reise nämlich …« Er sagt das fast grob; ihm fällt ein, was ihm bevorsteht, und Sehnsucht überkommt ihn und Glück. Was für ein Erlebnis, wie dumm! denkt er (und holt seinen Hut), aber es ist ja nur eine Episode, etwas vollkommen Belangloses.
»Sie sind Musterzeichner?« fragt sie mit einer anderen, dritten Stimme und steht neben ihm. Er bejaht. »Oh warten Sie nur einen Augenblick«, bittet sie liebenswürdig. »Sie sind also Sachverständiger. Ich möchte Ihnen gern einen Stoff zeigen ob man ihn färben könnte, wegen des Dessins … wollen Sie mir raten?« Erhard stellt seinen Hut wieder nieder. »Gerne,« sagt er geschäftlich, »ich habe ja wohl noch einen Augenblick Zeit.«
Und sie verschwindet durch eine kleine Tapetentür, die hinter ihr leise wieder aufgeht. Erhard schaut auf die Uhr. Erst fünf, noch zwei Stunden. Wie lange noch und doch eigentlich jetzt ist es ja schon egal; um zehn Uhr bin ich in Danzig, dann mit der Lokalbahn, nun vor elf kann ich zu Hause sein lächelt er.
Da ruft sie, von nebenan. Wieder wie früher, mit der weichen, lockenden Stimme und einem Lachen im Hintergrund. Unwillkürlich tritt Erhard ein. Sie kniet vor einem offenen riesigen Kleiderspind und zieht an etwas: »Ich kann die Lade nicht herausbringen«, sagt sie, trotzig wie ein Kind. Erhard kniet neben ihr. Er fühlt die spielende Kraft, die ihre Arme spannt. Aus den Kleidern, die oben im Spind hängen, qualmt Schwüle wie aus Jasminbüschen. Er bemüht sich um die Lade, aber seine Hände tasten nur und sind merkwürdig schwach. Um seine Stirne schmeichelt der Rand der Kleider, oder eine Hand? Und plötzlich fällt was über ihn, wie ein Kleid und Küsse, viele und Zittern …
Plötzlich, wie der Pendel einer großen Uhr. Die weichen Arme stoßen ihn fort. Und der Pendel geht auf ab, auf ab. Erhard lehnt mit dem Rücken an den Kleidern, die oben im Spind hängen; sie sind kalt und steif. Eine wahnsinnige Angst überkommt ihn. Ich muß ja weiter denkt er und hört den Pendel lauter. Und er glaubt zu gehen, zu laufen, aber in Wirklichkeit steht er vor dem Schranke und starrt nach der Tür. Dort ist der Mann mit dem roten Kopf, den er
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