0390 - Ich folgte der Teufelsspur
Amos Clarke, der Küster, hatte das Kind gefunden. Bevor er die Kirche abschloß, war er noch einmal um den alten, verwittert aussehenden Steinbau herumgegangen, hatte sich das Eis auf den Scheiben angesehen und auf den schmalen Kirchweg noch einmal Sand gestreut. Als er die Schaufel wieder in den Schuppen stellen wollte, sah er die kleine Gestalt erfroren neben einem Gebüsch liegen.
Das Mädchen trug nur einen sehr dünnen Mantel. Er war zudem noch vorn aufgeknöpft, so daß die Kleine keine Chance gehabt hatte, der beißenden Kälte zu entgehen.
Als der Küster auf das Kind schaute, spürte er die Kälte nicht mehr. Heiße Schauer des Entsetzens durchtosten ihn. Er bückte sich, nahm das Kind auf den Arm und untersuchte es, ob es vielleicht doch noch atmete.
Nein, das war nicht der Fall.
Er hielt eine Tote auf dem Arm.
Bis zum Pfarrhaus, in dem auch er in zwei kleinen Zimmern wohnte, waren es nur wenige Schritte. Dorthin trug er das Kind.
Steifgefroren lag es auf seinen Armen.
Das Kind stammte nicht aus dem Dorf. Außerdem sah es mit seinen schwarzen Haaren so aus, als hätte es Eltern aus den südlichen Ländern gehabt. Möglicherweise war es auch ein Zigeunerkind.
Hinter dem Fenster neben der Schreibstube des Pfarrers brannte noch Licht. Der Küster wußte, daß sein Vorgesetzter dort das Schlafzimmer hatte, in das er sich des Abends oft zurückzog, um in Ruhe zu lesen. Er war ein gebildeter Mann, der sich für vieles interessierte, auch für Magie und Mystik.
Der Küster trat gegen die Tür. Jetzt spürte er wieder die Kälte. Da er die Kapuze des Kaninchenfellmantels nicht übergestreift hatte, glaubte er, daß ihm der Frost allmählich die Ohren abbeißen würde.
Es dauerte etwas, bis der Pfarrer sein Bett verlassen hatte und die Tür öffnete. In der rechten Hand trug er eine brennende Kerze, die auf einem kleinen Teller stand.
Zunächst zeigte sein Blick Unwillen über die späte Störung, dann er sah das steifgefrorene Mädchen, und Schrecken stahl sich in seine Augen.
»Sie ist tot!« sagte der Küster mit schwerer Stimme.
»Komm rein.«
Der Küster trat ein. Im Haus war es warm, denn der alte Kanonenofen gab viel Hitze ab.
Der Pfarrer ging vor. Er besaß eine kleine Kammer, in der ein Bett, ein Schrank und eine Waschschüssel standen. Sie diente ihm als Schlafstätte für Gäste, jetzt mußte der Küster das tote Mädchen auf das Bett legen. Das Gesicht der Kleinen war fast so weiß wie das Laken. Eiskristalle klebten in den schwarzen Haaren.
Der Pfarrer hatte zwei Petroleumlampen angezündet und die Dochte höhergedreht. Er schaute jetzt selbst nach, ob sich der Küster nicht geirrt hatte. Im Raum herrschte eine nahezu gespenstische Stille. Es war der Hauch des Todes, der zwischen den vier Wänden steckte.
Laut einatmend richtete sich der Geistliche auf und nickte. »Ja«, flüsterte er, »du hast recht gehabt. Das Mädchen ist tot. Erfroren.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Dieser Winter ist grausam.«
»Nein, er ist eine Strafe Gottes.«
Der Pfarrer widersprach. »Gott straft nicht, Gott verzeiht. Also kann dieser Winter keine Strafe sein. Es ist die Natur, aber ich will mich nicht mit dir streiten. Kennst du das Kind? Ich habe es noch nie gesehen.«
»Nein, es stammt nicht aus dem Dorf.«
»Seltsam…«
»Darf ich etwas sagen?«
»Bitte.«
»Ich bin mir nicht sicher«, begann der Küster. »Aber Sie erinnern sich, daß vor einigen Tagen Zigeuner hier waren. Sie haben an die Türen der Häuser geklopft und um Brennmaterial gebeten…«
»Ja, ich weiß.« Der Pfarrer wurde von einem Augenblick zum anderen ärgerlich. »Ich habe alles genau erlebt, und ich habe mich für die Bewohner des Dorfes geschämt, weil sie die armen, frierenden Menschen barsch abgewiesen haben. Nicht nur das, sie trieben die Fremden sogar mit ihren Flinten und Musketen aus dem Ort. Das war schlimm.«
Voller Erregung strich der Geistliche durch seinen Vollbart, bevor er sich umdrehte und den Küster anschaute. »Du meinst also, daß dieses Kind zu der Zigeunersippe gehört hat – oder?«
»Da bin ich mir sicher. Ich habe das Mädchen sogar bei den Wagen gesehen und kenne seine Mutter.«
»Hast du auch gesehen, daß es mit den anderen zurückgefahren ist?« fragte der Geistliche.
»Nein, das nicht.«
Der Pfarrer warf einen Blick auf die Tote. »Dann frage ich mich, wie es wieder in das Dorf gekommen und erfroren ist.« Sein Blick nahm die Schärfe eines Raubtierauges an. »Wir werden es
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