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Die Erzaehlungen

Die Erzaehlungen

Titel: Die Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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dieses Weib. Und sie ist gut und sorglich.
    Aber es kommen Tage, da ihr Aug’ (sie hat blaue Augen) grün ist, ihre Wange bleich, und da ihre Lippe begehrlich sich wölbt, als schlürfe sie den süßen Duft eines trauten Geheimnisses.
    »Dann nennt sie mich beim Zunamen. Berger, sagt sie, und sie nennt mich sonst nie so. Dann weicht sie mir aus und schlägt die Lider nieder, wenn ich sie anschaue, dann ist sie vergeßlich, fremd, abwesend.
    Sie ist krank, dachte ich.
    Aber das geht immer vorüber.
    Und neulich war es wieder so. Ihr Aug’ war über mich weg in weite Ferne gerichtet, ihre Hand bebte …
    Als sie in ihr Zimmer gegangen war, schlich ich nach.
    Und durch eine Ritze sah ich, wie sie drinnen weinend auf den Knieen lag und welke Blumen küßte küßte mit einer Inbrunst, wie sie mich nie geküßt, auch in der Brautnacht nicht!
    Und seither weiß ichs. Sie hat jemand geliebt, vor mir geliebt. Sie liebt ihn noch!« Am ganzen Leibe bebend schrie er das in den Wald. »Und in diesen Tagen, da berauscht sie sich an dem heißen Duft ihres verwelkten Glückes. Und so betrügt sie mich. So wirft sie sich, die mir allein gehören soll, in die Arme eines Schattens …«
    Tonlos ging sein Wort aus. Und inniges Mitleiden beseelte mich. Ich schob meinen Arm unter den seinen: »Kommen Sie.« Und jetzt sprach ich ihm beruhigend zu.
    Er möge offen gegen sein Weib sein. Ihr sagen, was ihm Kränkung bereite; sie werde ihm gewiß mit Offenheit vergelten. Dergleichen mehr. Er wurde wirklich gefaßter.
    »Sehen Sie«, sagte ich, »das Mitgefühl mit Ihnen, Herr Berger, und die einsame Stille des Waldes, heißt mich Ihnen ein Stück meines Lebens erzählen. Jahre sind’s her. Ich liebte ein Mädchen. Für dieses Mädchen strebte und schaffte ich. Und eines Tages wußte ich: sie hintergeht dich. Und ich blieb ganz ruhig. Ich ging in die einsame Heide hinaus. In meiner Brusttasche war ein geladener Revolver. Ich fühlte, für mich gab es nichts, als den Tod. Und ich stand draußen in der öden Weite und blickte um mich. Niemand. Ich griff also in die linke Tasche und wie ich die Waffe fasse, ziehe ich ein Stück Papier mit heraus. Unwillkürlich betrachtete ich dasselbe.
    Es war eine kleine, schlichte Novelle von duftstarker Poesie, die ich einmal in glücklicher Stunde geschrieben.
    Und ich las zwei, drei Zeilen.
    Und dann setzte ich mich auf den Rain, legte das Pistol neben mich und las fort.
    Wie Öl flossen die schlichten, innigen Worte in den Sturm meiner Seele hinein. Nach einer halben Stunde ging ich klaren Auges stadtwärts. Ich wußte, es gibt eine Heilung für mein Weh. Eine starke Arzenei: Arbeit.
    Das ist meine ganze Geschichte.«
    Der Mann neben mir schaute mich groß an mit dankbarem Blick. Er sagte nichts. Aber er faßte meine Rechte mit beiden Händen und drückte sie. Schon dieser kräftige Druck sagte mir: er ist dem Leben wiedergewonnen.
    Wir gingen selbander fort weiter in den Wald. Der schimmernde Augusttag goß goldenen Frieden in unsere gerührten empfänglichen Herzen. Wir schwiegen; aber wir blickten uns von Zeit zu Zeit an, wie gute, alte Freunde; wir verstanden uns.
    Und später plauderten wir. Leichthin über Vergangenes und Zukünftiges, Erinnerungen und Wünsche. Und seine Worte klangen so ruhig, so friedlich in die Mittagsstille. Dann plötzlich fragte er: … »Und haben Sie ganz verschmerzt« …
    Ich betonte: »Ganz«…
    Er blickte mich forschend an: »Wirklich?«
    »Wodurch soll ich Ihnen beweisen?« meinte ich obenhin.
    »Wodurch?« Er sann nach.
    Dann lächelte er: »Sind Sie im Stande, den Namen des Mädchens ganz ruhig auszusprechen?«
    »Wie denn nicht: Helene Croner.«
    Da kracht neben mir ein Schuß. Mit zerschelltem Schädel wälzt sich Berger im Moose. Er blieb auf der Stelle tot.
    Am nächsten Tage durchblätterte ich die Zeitung. Auf dem letzten Blatt im äußersten Eckchen stand die schonend gehaltene Todesanzeige Berger’s. Unterzeichnet war dieselbe:
    Die tieftrauernde Witwe
    Helene Berger,
geborene Croner.

Das Ereignis
Eine ereignislose Geschichte
(1896)
    Man saß beim Tee bei Frau von S… Auf dem blendend weißen Tischtuche stand der mächtige russische ›Samovar‹ und begleitete mit melodischem Summen die Gespräche. Die Ereignisse des Tages waren nach allen Seiten gewendet und gedreht worden, die Kunstausstellungen und Theater boten keinen allzureichen Stoff im Frühherbst. Es drohte eine jener Pausen einzutreten, welche wie dicke Luft alle bedrückt und ängstigt, und

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