Die Erzaehlungen
wieder zum König ein gut Stück hinaufsehen und der König zum Kaiser und dieser zum Papst. Der Papst aber reicht trotz seiner dreimalhohen Krone immer noch nicht bis zum lieben Gott hinauf, meint ihr. Ich denke, das kommt davon, daß man das Ding meistens vom verkehrten Ende ansieht. Mir scheint, ganz tief unten ist der liebe Gott und ein wenig über ihm der Papst und so fort. Oben aber ist das Volk. Das Volk aber ist ja nicht eines, das sind viele; sie stoßen und schieben einander, und es verstellt einer dem anderen die Sonne. Da mein’ ich halt immer, irgend einen müßten sie von Zeit zu Zeit in die Höhe heben, nicht zu hoch (er könnte leicht hinunterfallen bis dorthin, wo der König ist oder der Kaiser), aber doch so, daß er ihre starken und treuen Schultern unter sich fühlt und mit ruhigem Bedacht eine Weile lang hinschauen kann über ihre Köpfe. Wenn er dann wieder unter ihnen steht, wird er wie aus der Heimat zurückgekehrt sein und seinen Brüdern sagen können, wo die Sonne aufgeht und wie lang es noch währen mag bis dahin und so manches mehr. So aber…« Zdenko verdeckte seine Augen mit der Hand. Dann erhob er sich heftig: »Mna, laßt jetzt die Plackerei und geht schlafen; es ist spät. Die Lampe wird auch gleich verlöschen.« Seine Stimme war rauh. Er bemerkte erst jetzt, daß Luisa nicht mehr über das Weißzeug geneigt dasaß; ihre Augen brannten ihm entgegen, groß und leuchtend wie nie. Und seltsam, er sah sich in diesen Augen und richtete sich stolz und stark auf wie vor einem Spiegel.
Seine Mutter aber nähte immerzu mit rüstigem, rastlosem Mühen, und Zdenko hatte ganz plötzlich das Bedürfnis, zu ihr hinzutreten und ihr die Hände zu küssen.
Es war nicht Mißtrauen, welches die Magd Rosalka still und schweigsam gemacht hatte den Hausgenossen gegenüber. Alten Leuten ergeht es oft so, wenn sie, aus der gewohnten Kleinhäuslichkeit ihrer Provinzstadt vertrieben, sich in einem neuen Orte zurechtfinden sollen; sie können sich den größeren Maßstäben nicht anpassen und sind wie aus einer engen Stube in einen hallenden Saal versetzt, drin ihre heimlichsten Worte wie von unsichtbaren Chören laut nachgesprochen werden, während ihre vielen heftigen Gesten sich in der Weite dieses teilnahmslosen Raumes zu verlieren scheinen. Im Anfang gefällt ihnen das der Neuheit wegen, aber bald fühlen sie es wie eine Anstrengung, die, ohne genügenden Lohn, entmutigend wirkt, und lassen von einem Morgen an die Hände im Schooß und die Worte auf der Zunge liegen. Es kommt nämlich noch dazu, daß die Leute auf dem Lande um ein Tüchtiges bescheidener sind. Da genügt es, einmal ein recht ansehnliches Unglück gehabt zu haben, um für alle Zeit, bis zum letzten gottseligen Tage, das achtungsvolle Bedauern der Bekannten wie eine lebenslängliche Rente zu beziehen. Aber »in der Großstadt« sollte man ja grollte die Alte um halbwegs obenauf zu bleiben, mindestens wöchentlich einmal einen Vater verlieren und alle drei Wochen von der Treppe oder aus dem Fenster fallen. Sie gedachte mit betrübten Augen ihrer »Stellung« in Krummau und konnte es ihrer Herrschaft nicht verzeihen, daß sie, um dem Zdenko die Universität zu ermöglichen, nach Prag übergesiedelt wäre. Sie vergönnte es der Frau Förster, daß sie nun selbst ein paarmal der Woche in »Häuser« gehen mußte, um durch Weißnäharbeit zu ihrer kleinen Pension und dem fürstlich Schwarzenbergschen Gnadengehalt das hinzuzuverdienen, was der neue Haushalt und die Heranbildung des Sohnes verlangte. Sie wußte auch, daß Frau Wanka dem Zdenko jedes Opfer bringen würde und den dunkeln Wunsch hatte, in ihm einen »studierten Doktor« zu sehen, welches für Rosalka als das ungebührliche Streben einer zügellosen Hoffart, um derenwillen man sich dreimal bekreuzen mußte, erschien.
Anders faßte man dieses Trachten der Witwe in dem Hause der Frau Oberst a. D. Meering von Meerhelm auf, wo die Försterin jede Woche einmal, und zwar am Montag, dem Wäschetag, die Putzwäsche ausbesserte. Frau Charlotte Meering lobte nämlich den Eifer der Mutter und tadelte dabei nur, daß Zdenko Wanka die böhmische statt der deutschen Universität bezogen hätte. Dieser einleuchtende Mißgriff war Schuld, daß man ihn nie zu sich bitten konnte. Vergebens versicherte die Witwe, daß das ganz im Sinne ihres armen seligen Mannes geschehen sei, der ein guter Tscheche gewesen wäre; die Oberstin lächelte nur vornehm und konnte, wie sie sich ihrem Gemahl
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