Die Erzaehlungen
mühsam zurückzuhalten, alle seine Sehnen waren wie zum Sprunge gespannt.
Rezek bemerkte es nicht mehr, er war wie aus einem bösen Traume erwacht, und der strenge Akzent seiner Stimme schien alles Frühere zu widerrufen. Er entwarf an diesem Abend die kühnsten Pläne und spürte mit dem ihm eigenen Scharfsinn so rücksichtslos allen Mitteln und Möglichkeiten nach, schien sich so klar über die Ziele seiner unermüdlichen Agitation, daß Zdenko wieder ganz in seinem Einfluß unterging.
Dennoch bezeichnete dieser Abend für Wanka den Beginn eines harten inneren Kampfes. Er hatte sich stolz und stark gefühlt in seiner Mission, solange er glaubte, für ein junges und gesundes Volk zu streben, und nun hatte er erfahren, daß dieses Volk an innerem Zwiespalt krankte und an sich selber verzweifelte. Und er verlor alle Freude und allen Mut. Es geschah ihm wie dem tollkühnen Lieutenant, der vor seinen Scharen hineinstürzt in die feindliche Übermacht. Da vernimmt er, daß die Niederlage der Seinen schon besiegelt ist; und was im Augenblick noch eine freudige Heldentat war, ist ihm ein nutzloses, verzweifeltes Opfer. Der arme junge Mensch fühlt mit einemmale so viel Neues, Unverbrauchtes, Einsames in sich, das nicht zu Ende gehen will und sich sehnt, in einem andern stillen Frühling aufzublühen. Die hohen und hellen Worte der nationalen Begeisterung waren ihm erloschen, und mehr als einmal stürzte Wanka aus den heißen heimlichen Versammlungen in die nächtlichen Gassen hinaus, durch welche er, planlos, einem ungewissen Morgen entgegenirrte. Aber so stark stand Rezeks Persönlichkeit über ihm, daß er mitten in seinen Grübeleien immer wieder von ihm einen Ausweg erhoffte und nicht wagte, dem finsteren Gesellen seine wachsenden Zweifel einzugestehen. Er schwieg gegen alle davon. Er bemerkte die besorgte Frage in den Augen seiner schlichten Mutter, und er glaubte sie zu übertönen durch seine heftige, hastige Zärtlichkeit. Er neigte sich inniger seinem blassen Schwesterchen zu und suchte sich gleichsam wiederzuerkennen in diesen flüchtigen Augenblicken einer reinen Liebe.
Jetzt begann Luisa ahnungsvoll die Zerrissenheit in Zdenkos Seele zu begreifen. Sie wußte ja nichts von der beginnenden Untreue an seinem Werke, und daß er seine übernommene Pflicht als Zwang empfand. Aber sie sah, daß er an irgendwelchen Ketten zerrte, und das schien ihr die eherne Macht des Rezek zu sein, aus welcher er entfloh, um, schwach und verzagt, immer wieder zurückzukehren. Lange schon stand die Gestalt des bleichen Mannes auch über ihr. Sie fand sein Bild in allen ihren Gedanken und war nicht mehr erstaunt dabei. Ihr schien, er gehörte hinein wie der Gekreuzigte in die Klosterzelle. Und sie konnte ihm nicht wehren, daß er auch in ihre Träume wuchs und endlich eines wurde mit dem dunklen Prinzen des alten Maskentraumes und nun für sie nicht mehr Rezek, sondern Julius Cäsar hieß. Und da geschah dem Mädchen etwas Seltsames. Irgendwelche Szenen aus fernen Jahren und halb vergessene Träume und Gestalten und fremde purpurne Worte, die sie von ihrem Bruder vernommen hatte, und anderes, welches sie gar nicht zu erklären vermochte, umdrängte sie wie eine neue phantastische Zeit, in der alle Gesetze anders werden und alle Pflichten. Sie konnte zwischen Tun und Träumen nicht mehr unterscheiden und schaute alle Geschehnisse des Alltags in den Farben jenes Krummauer Blutfestes, ihrer tiefsten und erschütterndsten Erinnerung. Sie lebte jetzt mitten unter den stillen, feierlichen Gestalten und fühlte immer deutlicher, daß auch sie eine Rolle haben müsse in diesem heimlichen Reigen. Und tagelang saß sie, eine vergessene Arbeit im Schooß, am Fenster, sah mit verlorenen Augen in die hohen kahlen Mauern der Malteserkirche und sann: Welche nur, welche?
Die trägen, lässigen Sommertage gingen langsam dem Feste von Mariens Himmelfahrt entgegen. Eine schwere Traurigkeit lag über Wankas. Das Heimweh, welches die vier Menschen schon fast vergessen hatten, kam wieder in einer anderen, unerwarteten Gestalt über sie. Sie sehnten sich nicht mehr nach der Vergangenheit, sondern sie träumten in den heißen Stuben hinter dichtverhangenen Fenstern von dem leichten, luftigen Dorfsommer, dem die kühlen Wälder so nachbarlich sind. Von den hellen Feldwegen, über welche die jungen Obstbäumchen ihre rührend dünnen Schatten legen, so daß man drüber hin wie auf einer Leiter geht, von Strich zu Strich. Von den schweren, reifen
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