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Die Erzaehlungen

Die Erzaehlungen

Titel: Die Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Feldern, die so breit und prächtig zu wogen beginnen gegen den Abend zu, und von den Hainen, in deren dunkelnder Stille die schweigsamen Teiche liegen, von denen niemand weiß, wie tief sie sind. Und dabei dachte jeder von den vier Menschen an irgend eine bestimmte unbedeutende Stunde, deren kleines Glück man einst, ohne es zu werten, eben so mitgenommen hatte. Und um so schmerzlicher war dieses Sehnen, als es nicht ein Unwiederbringliches betraf, als jeder fühlte, wie der heitere Heimatsommer ihn erwartete und traurig wurde, wenn keiner kam. Um ihm wenigstens näher zu sein, machte man kleine Ausflüge die Moldau entlang, und die Försterswitwe glaubte am leichtesten den kleinen Wäldern hinter Kuchelbad ihre gutmütige ländliche Lüge und wurde von jener unmerklichen Fröhlichkeit erfüllt, welche alten, arbeitsamen Leuten eigen ist. Sie war still und in sich gekehrt und lächelte kaum, aber die Falten um die Lippen waren vergangen, und das gab ihrem Gesicht etwas Junges und Sonniges, wie sie es vielleicht als Braut nicht besessen hatte. Sie bemerkte dann auch kaum, wie selten Zdenko den Blick in die lichte Landschaft erhob von dem Wurzelpfad, und wie schnell die Sommerblumen welkten in den heißen Händen Luisas. Die alte Rosalka blieb ganz zu Haus und trotzte; sie sagte vom Sommer: nein, wenn er nicht zu mir kommt, nachlaufen werd ich ihm nicht; setzte sich mit einem alten Gebetbuch ans Küchenfenster und schlief über der Frömmigkeit ein.
    Die staubigen Augusttage schienen nur auf einem nicht zu lasten: auf Rezek. Er blieb von unermüdlicher Kraft, ja in jüngster Zeit war sogar eine übermütige Lustigkeit in seinem Wesen, welche Wanka nicht verstehen konnte. Er wußte nicht, daß Rezek stets so zügellos wurde, wenn die Gefahr nahe über ihm und seinem geheimen Streben aufstieg, und nahm diese Veränderung eher als Zeichen guter Erfolge hin.
    Seine letzten Bedenken entschwanden, als Rezek bei einem Spaziergange, den sie wieder nach alter Gewohnheit zu dritt unternahmen, vorschlug, in der ›Vikárka‹ (einem kleinen, uralten Gasthofe, dem St. Veits-Dom gegenüber) einzukehren. Sie saßen bei einem dunkeln Tische in der hintersten Stube und stießen mit echtem Melniker an. Der Student kargte nicht mit dem Wein, und so laut wurde seine Lustigkeit, daß die paar übrigen Gäste, es waren bischöfliche Lakaien, daran teilnehmen mußten. Rezek erzählte die Sage von der Brotgräfin, die im alten Czerninschen Palast umgehen sollte, knüpfte seinen tückischen Spott an die spannendsten Stellen und veränderte so die Wirkung seiner Worte in einer seltsamen und überraschenden Weise. Da und dort wurden andere Geschichten wach (sie lauern in allen Ecken dieser dämmernden Stuben), und es fügte sich, daß Zdenko die Krummauer Sagen, auch jene von Julius Cäsar zum besten gab.
    »Eigentlich wäre das deine Sache«, hatte er vorher zu Luisa gesagt.
    Sie aber schüttelte nur stumm den Kopf, hob dann das Weinglas und hielt es lange an die Lippen. Mit fast verschlossenem Munde begann sie zu saugen, und ihre Augen schauten dabei groß in den Trank hinein, dessen purpurner Widerschein über ihrem schmalen Gesichtchen lag.
    Mit einemmale sagte Rezek: »Wie Sie das sagen. Merkwürdig. Ist nicht eine Ähnlichkeit zwischen unserer Zeit und den Tagen vor dem dreißigjährigen Kriege?«
    Unter seinen Worten bebte etwas. Zdenko und andere lachten. Luisa aber hob das Becherglas langsam von ihrem kühlen roten Munde und sah mit erschreckten Augen zu dem Studenten auf.
    Als man später auf dem Heimweg war, blieb Rezek nahe bei der alten Schloßstiege vor einem Tor, über dessen Bogen ein schwarzes Ehewappen prangte, stehen und fragte: »Waren Sie schon mal drin?«
    Die Geschwister verneinten.
    »So kennen Sie nicht einmal die Daliborka? Schämen Sie sich.«
    Und schon trat Rezek durch den engen Türrahmen des Tores ein, und Luisa, die nun bei ihm stand, erblickte einen reinlichen Hof, drin, von den lichten Mauern bewacht, die breiten, warmen Schatten des Nachmittags lagerten. Eine kleine, alte Frau trat grüßend aus der Haustüre, jagte einen Schwarm Hühner vor sich her und winkte dann den Fremden, zu folgen. Zdenko ging voran, dann kam Rezek und zuletzt Luisa, denn der Pfad war so schmal, daß einer hinter dem anderen gehen mußte. Luisa zögerte ein wenig und schaute mit glänzenden Augen umher: da war ein lächerlich kleiner Gemüsegarten, dessen Kohlköpfe und Spargelstangen ein sechsjähriges Kind wohl hätte zählen

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