Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
untergepflügt, bereits bei der Ernte weggeworfen, von Schädlingen gefressen wird und im Lager verkommt, beim Transport zur Fabrik oder zum Markt verdirbt, bei der Produktion, auf dem Großmarkt und im Supermarkt ausgesondert wird und was letztlich der Verbraucher in den Mülleimer wirft und die Toilette hinunterspült.
Es ist wie ein Puzzlespiel: In Österreich wurde im Haushalt nachgezählt, in den USA in den Fabriken und in Italien und England in der Landwirtschaft. Unter dem Strich verdichtet sich die Erkenntnis, dass wir etwa genauso viel wegwerfen, wie wir essen.
Warum haben die Menschen in den »entwickelten« Ländern die Wertschätzung für ihr Essen verloren? Das mag damit zusammenhängen, dass die Lebensmittel immer billiger werden. Heute geben wir nur noch knapp über zehn Prozent unseres Einkommens dafür aus. Vor nicht mal 50 Jahren waren es noch 40 Prozent. In der Hektik des Alltags wird der Kühlschrank vollgestopft, aber in den nächsten Tagen kommt man erst spät nach Hause oder entscheidet sich spontan, doch einmal essen zu gehen. Und schon verkommt ein Teil der Waren.
Wir sind es gewohnt, im Supermarkt zu jeder Tages- und Jahreszeit alles zu finden, was wir benötigen: Erdbeeren im Dezember und frisches Brot bis in die Nacht hinein. Das sorgfältig arrangierte Überangebot verführt uns, mehr zu kaufen, als wir letztendlich verarbeiten können. Vieles wandert vom Kühlschrank direkt in den Mülleimer, ohne dass es überhaupt auf den Tisch gekommen ist. Weil es schnell gehen muss, greifen wir gern zu vorgefertigtem Convenience Food mit geringer Haltbarkeit. Was von den vorportionierten Mengen übrig bleibt, wird entsorgt. Denn viele von uns haben verlernt, wie wir aus den Resten einer Mahlzeit ein neues schmackhaftes Essen zaubern können.
Doch sehr viel landet auf dem Müll, bevor es überhaupt den Verbraucher erreicht. Der Handel müsste eigentlich schon aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen daran interessiert sein, die Verschwendung zu begrenzen. Doch um den Käufern die immer gleichen, perfekt aussehenden Produkte anbieten zu können, wird besonders bei frischer Ware kräftig aussortiert. Sobald ein einzelnes Blatt gammelig ist, wird der ganze Salat weggeworfen. Wenn nur ein einziger Pfirsich schimmelt, wird der Rest der Stiege gleich mit entsorgt. Die Arbeitszeit der Angestellten darauf zu verwenden, einzelne Obst- und Gemüsestücke auszusortieren, ist für den Händler zu teuer.
Europa wirft jedes Jahr drei Millionen Tonnen Brot auf den Müll. Ganz Spanien könnte damit versorgt werden.
Milchprodukte werden mehrere Tage vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums aus den Regalen entfernt und weggeworfen. Das meiste davon wäre noch gut genießbar. Eine einfache Prüfung – schauen, riechen, schmecken – würde reichen, doch viele trauen sich das nicht mehr zu. Was fast kein Verbraucher weiß: Das Datum wird von den Herstellern selbst aufgedruckt, nicht von einer Behörde. Unter dem Vorwand des Verbraucherschutzes werden die Fristen immer kürzer gefasst, um den Warenumschlag zu erhöhen. Für die scharf kalkulierenden Unternehmen ist es offenbar rentabler, Überschuss für die Mülltonne zu produzieren. Denn schlimmer als wegwerfen ist es, Kunden an die Konkurrenz zu verlieren. Angesichts des Wettbewerbsdrucks im Lebensmittelhandel ist das Risiko hoch: Kunden könnten wegbleiben, weil ihnen nicht zu jeder Tageszeit die gesamte Produktpalette angeboten wird. Finanziell ist es allerdings kein großes Problem, denn der Ausschuss und seine Entsorgung sind eingeplant und bereits »eingepreist«, auf alle Waren umgelegt.
Ein besonders dramatisches Beispiel für Lebensmittelvernichtung ist das Brot. Kein anderes Produkt wird in so großen Mengen weggeworfen. Eine Durchschnittsbäckerei wirft 10 bis 20 Prozent ihrer Tagesproduktion weg und gibt im besten Fall einen Teil davon an eine Tafel oder einen Tierfutterhersteller. Jährlich werden in Deutschland 500 000 Tonnen Brot vernichtet. Damit könnte im gleichen Zeitraum ganz Niedersachsen versorgt werden.
Das System der Verschwendung beginnt aber bereits auf dem Feld und dem Acker. Wir sind es inzwischen gewohnt, dass Obst und Gemüse im Supermarkt perfekt und glänzend auszusehen haben. Äpfel mit etwas Schorf, Bananen mit braunen Flecken, unhandlich verzweigte Karotten – vieles würde im Supermarkt nicht angenommen. Was nicht in das Raster passt oder kleine Macken hat, bleibt daher direkt auf dem Feld liegen. Dieser Druck
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