Die Essenz der Lehre Buddhas
wir werden uns Themen wie der »Leerheit« und dem »abhängigen Entstehen« zuwenden. Anschließend wollen wir erörtern, wie diese Lehren praktisch umzusetzen sind und wie man diesen selbstlosen Erleuchtungsgeist heranbildet, der mit dem Sanskritwort Bodhicitta bezeichnet wird.
Unterwegs kommt es darauf an, das Gelernte anzuwenden. Nach einem tibetischen Sprichwort sollte zwischen dem, was gelehrt wird, und unserer Geistesverfassung keine so große Lücke bestehen, dass wir hindurchfallen könnten. Ich hoffe, dass Sie beim Lesen eine Beziehung zwischen dem Gehörten und Ihrer persönlichen Erfahrung
herstellen können. Ich bemühe mich ebenfalls darum, während ich spreche.
Wenn das, was ich mitteilen möchte, mir selbst dunkel bleibt, wie könnte ich anderen dann den Sinn vermitteln? Ich kann nicht behaupten, dass ich die hier angesprochenen Dinge vollkommen beherrsche, aber mir scheint, dass bei einer so wichtigen Thematik selbst ein mittelmäßiges Verständnis weitaus besser ist als gar keins. Allerdings: Vom Lesen eines aus mittelmäßigem Verständnis hervorgegangenen Buchs dürfen Sie sich selbst nur ein Verstehen erhoffen, das zur Hälfte aus Wissen und zur Hälfte aus Unwissenheit besteht. Doch auch das ist viel besser als gar kein Verstehen.
Kapitel 1
Spirituelle Traditionen
B uddhisten glauben, dass wir für die Qualität unseres Lebens, für unser Glück und unsere Mittel selbst verantwortlich sind. Für ein sinnerfülltes Leben müssen wir unsere Gefühle ändern, denn das ist der beste Weg zu künftigem Glück für uns selbst und alle anderen.
Niemand, nicht einmal der Buddha, kann uns zwingen, uns geistig zu ändern. Wir müssen es aus freien Stücken tun. Deshalb sagte der Buddha: »Du bist dein eigener Herr.«
Unser Bemühen muss aber realistisch sein. Jeder muss für sich selbst klären, ob die angewandten Methoden auch zum gewünschten Ergebnis führen. Es nützt nichts, irgendetwas auf Treu und Glauben zu akzeptieren. Deshalb ist es so wichtig, uns den Weg, den wir gehen möchten, genau anzusehen und uns zu vergewissern, was wirksam ist und was nicht. Nur so können unsere methodischen Bemühungen zum Erfolg führen. Ich glaube, das ist ganz wesentlich, wenn wir wahres Glück im Leben finden möchten.
Ich zögere ein wenig, Ihnen etwas von einer spirituellen Tradition zu erzählen, die nicht Ihre eigene ist. Es gibt viele wertvolle Religionen, die ihren Gläubigen seit Jahrhunderten zu innerem Frieden und Glück verholfen
haben. Dennoch könnte es am Buddhismus etwas geben, was vielleicht Ihre spirituelle Praxis bereichert.
Dann wird es unter Ihnen auch einige geben, die ihre Religion abgelegt haben und sich anderswo nach Antworten auf ihre tieferen Fragen umsehen. Vielleicht zieht etwas Sie zu den östlichen Philosophien und ihrem Glauben an Karma und frühere Leben hin. Genauso gibt es auch junge Tibeter, die sich von ihren buddhistischen Ursprüngen lösen und im Christentum oder Islam ihren Seelenfrieden finden.
Leider ist es bei vielen von uns in den buddhistischen Traditionen Chinas, Japans, Thailands, Sri Lankas und anderer Länder so, dass wir uns zwar Buddhisten nennen, aber nicht wissen, was es mit den Worten des Buddha wirklich auf sich hat. Nagarjuna, einer der größten Gelehrten unter den praktizierenden Buddhisten, verfasste viele erläuternde Werke über buddhistisches Denken und buddhistische Praxis. Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, die Lehre des Buddha gründlich zu kennen. Studieren wir also diese Lehren, damit unser Verständnis tiefer werden kann. Ich glaube, wenn tiefes Verständnis für unsere buddhistische Praxis nicht so wichtig wäre, hätten sich die großen Gelehrten der Vergangenheit kaum die Mühe gemacht, ihre so bedeutenden Abhandlungen zu schreiben.
Über den Buddhismus haben sich viele falsche Vorstellungen gebildet. Das betrifft ganz besonders den tibetischen Buddhismus, der gern als geheimnisvoll und esoterisch
dargestellt wird und so, als ginge es hier um die Verehrung zorniger oder gar rasender und blutrünstiger Gottheiten. Ich denke, dafür sind wir Tibeter mit unserer Vorliebe für reich ausgestaltete Zeremonien und prunkvolle Trachten zum Teil selbst verantwortlich. Der rituelle Anteil unserer Praxis stammt zwar zu einem Großteil vom Buddha selbst, aber wir haben uns ohne Frage ein paar Ausschmückungen erlaubt. Vielleicht lassen sich unsere Bekleidungsexzesse mit dem kalten Klima Tibets erklären. Zum Teil sind die falschen
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