Die Essenz der Lehre Buddhas
dem, was wir haben. Damit arbeiten wir auf eine Geburt und ein Leben in Bedürftigkeit und unter unbefriedigenden Umständen hin. Widerwille oder Abneigung lässt uns ungeduldig werden und verstärkt unseren Hang zu Zornregungen. So untergraben alle unsere Plagen, auch Stolz und Eifersucht, unseren inneren Frieden und machen uns unglücklich.
Solche Plagen oder Heimsuchungen des Geistes haben in unübersehbar vielen früheren Leben unser Handeln geleitet. So wird unser bedingtes Dasein als eine verunreinigte Wirklichkeit gesehen, weil unser Denken von trübenden Gefühlsregungen verunreinigt wird. Solange wir unter dem Einfluss solcher Regungen stehen, haben wir uns nicht wahrhaft in der Hand und sind nicht wirklich frei. Dann ist unser Dasein zutiefst unbefriedigend und seiner Natur nach leidvoll.
Der Buddha begann einige Zeit nach seiner Erleuchtung zu lehren und sprach als Erstes über das Leiden. Er unterschied drei Stufen oder Grade des Leidens. Leiden der ersten Stufe sind ganz direkt erkennbare seelische oder körperliche Schmerzen. Die zweite, schon wesentlich subtilere Form des Leidens wird nicht von schmerzhaften, sondern von lustvollen Empfindungen gebildet. Wie kann Lust leidvoll sein? Weil Lust irgendwann endet und uns in banger Erwartung nach weiterer Lust Ausschau halten lässt. Die wichtigste Form des Leidens ist
aber die dritte, ein Leid, das in unserem Leben allgegenwärtig ist. Das ist die Form des Leidens, die im zweiten Kennzeichen des Buddhismus angesprochen wird: Alle mit Plagen behafteten Phänomene, alles Existierende, ist seiner Natur nach leidvoll.
Das dritte der vier Kennzeichen oder Siegel des Buddhismus besteht in der Aussage, dass an den Phänomenen nichts von einem Ich ist, sie sind frei von Ichhaftigkeit. Wir werden im Verlauf dieses Buches herausfinden, was Ichhaftigkeit beziehungsweise das Nichtvorhandensein eines Ichs oder Selbst bedeutet.
Um uns die ersten drei Kennzeichen noch einmal vor Augen zu führen: Alle zusammengesetzten Dinge, seien sie Luft, Stein oder Lebewesen, sind vergänglich, ihrer Natur nach leidvoll und ichlos. Wir wissen nicht, dass alle existierenden Dinge ohne ein eigenständiges Ich oder Selbst sind. Das ist die Grund-Ursache für unser unerleuchtetes Sein. Zum Glück liegt gerade in dieser Ichlosigkeit die Chance, uns aus dieser unseligen Lage im zyklischen Dasein zu befreien.
Mit der Kraft der nach und nach aufgebauten Weisheit können wir unsere Grund-Unwissenheit, die sich an ein Ich-Gefühl klammert, nach und nach abbauen und schließlich ganz auflösen. Unser Bemühen um Weisheit führt in einen Zustand jenseits allen Kummers, den wir mit dem Sanskritwort Nirwana bezeichnen. Das ist das vierte Kennzeichen oder Siegel des Buddhismus: Nirwana ist wahrer Frieden.
Die Wurzel unseres Unglücks besteht demnach in dem Irrglauben, wir besäßen so etwas wie eine wahre, dauerhafte, substanzielle Realität. Es gibt jedoch, so sagt der Buddhismus, einen Ausweg aus dieser misslichen Lage. Er besteht in der Erkenntnis unserer wahren Identität, die tiefer liegt als unsere irrigen Vorstellungen von einem dauerhaften persönlichen Ich.
Unser Geist ist in seinem Wesen rein und lichtvoll. Die Gedanken und Gefühle, die uns plagen und unser oberflächliches Alltags-Ich verdunkeln, können diesem Wesenskern des Geistes nichts anhaben. Da sie etwas Hinzugefügtes sind, können sie auch wieder entfernt werden. So zielt buddhistische Praxis in erster Linie darauf ab, Mittel gegen diese gedanklichen und emotionalen Plagen zu entwickeln, um schließlich unser unerleuchtetes Sein von der Wurzel her zu bereinigen und so unsere Befreiung von allen Leiden zu erwirken.
Die Technik, die wir dabei anwenden, ist die Meditation. Es gibt sie in etlichen verschiedenen Formen, die heutzutage von vielen praktiziert werden. Die Form der Meditation, auf die wir uns in diesem Buch konzentrieren werden, unterscheidet sich von manchen anderen Ansätzen dadurch, dass sie nicht bloß eine Übung zur Beruhigung des Geistes ist. Studium und kontemplative Betrachtung sind hier ebenfalls wesentlich. Wir machen uns mit neuen Ideen wie den in diesem Buch vorgetragenen vertraut, wir gehen ihnen logisch auf den Grund, was unser Verständnis vertieft und neue Einsichten erschließt.
Das bezeichnen wir als analytische Meditation. Es ist die Form der Meditation, die wir auf die Inhalte dieses Buchs anwenden müssen, wenn wir an der Wahrnehmung unserer selbst und der Welt wirklich etwas ändern
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