Die Eule - Niederrhein-Krimi
nichts. Was sie beschreiben, hört sich an, wie ein Terroranschlag eines Selbstmordattentäters.«
»Ein technischer Defekt?«
»Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen. Es spricht jedoch vieles dagegen.«
Simon Termath wirkte wie ausgewechselt. Die Konsequenz aus dem Bericht von Hauptwachtmeister Ebert erschien ihm so absurd, dass er ihn nur ganz langsam auszusprechen wagte.
»Das heißt im Klartext, Sie ziehen eine Art Anschlag mit einem Lastkraftwagen in Erwägung?«
»Genau das. Zu dem Zeitpunkt war die Straße leer. Als habe er mit laufendem Motor dort oben am Straßenrand auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, sagten sie, wie ferngesteuert sei er auf sie zu. Nein, das könne nicht wahr sein, hat einer gedacht, der dreht doch gleich wieder ab. Da habe der Wagen schon die ersten überrollt, sei dabei wohl zu weit in den Graben gelangt, erwischte schliddernd sechs andere Personen, die wie gelähmt waren und nicht reagieren konnten, bevor er umkippte.«
»Moment, sechs Personen? Vorhin war von sieben Schwerverletzten die Rede.«
»Ja, die siebte Person ist der Fahrer. Der war nicht angeschnallt. Den haben sie mit schwersten Kopfverletzungen in die Unfallklinik nach Duisburg geflogen.«
Er nahm seine Dienstmütze ab und wischte sich mit einem abgegriffenen Tempotuch über die Stirn.
»Da liegt auch eine Frau, die wohl beide Beine verlieren wird.«
In ihrer Betroffenheit schauten die drei sich wortlos um. Auf dem Radweg und mitten auf der Straße lagen sie mit Tüchern verhüllt, die beiden Menschen, die direkt zu Tode gekommen waren. Ein Feuerwehrmann lehnte kopfschüttelnd an einem Leitpfosten, den Helm umklammernd und mit kreidebleichem Gesicht. Ein anderer legte ihm eine Hand auf die Schulter und redete auf ihn ein. Überall lag Verpackungsmaterial von Einwegspritzen und Verbandsmaterial. Blutflecken und Kleidungsstücke hoben sich vom grauen Asphalt ab, einzelne Schuhe wirkten wahllos verteilt wie in einer makabren Inszenierung. Ein leichter Rucksack lag vor ihren Füßen, daneben ein aufgeschlagenes Gebetbuch. Ebert widerstand dem Impuls, es aufzuheben.
»Ich bin schon dreimal an dem Buch vorbeigegangen und habe mich jedes Mal beherrschen müssen, es nicht ordentlich auf den Rucksack zu legen. Es wirkt hier einfach zu absurd und fremd. Was ging wohl im Kopf des Unfallfahrers vor?«
Simon Termath blieb sachlich.
»Wir informieren die Spurensicherung. Die sollen das ganze Terrain filmen, vermessen, fotografieren, ich kann das noch nicht glauben. Absichtlich in eine Pilgergruppe gefahren? Das Fahrzeug muss unbedingt untersucht werden.«
Burmeester hielt schon sein Handy ans Ohr.
»Ich hole die Chefin her, das hier ist mir zu groß. Und der Heierbeck von der KTU muss entscheiden, ob nicht sogar ein Hubschrauber hersoll, um von oben zu filmen, so abschüssig, wie das ist … Ja, Karin? Ich weiß, es ist dein erster freier Tag … Du musst herkommen, wir brauchen dich hier.«
In kurzen Sätzen erzählte er, was bislang bekannt war.
»Keine Wanderer, nein, das hier war eine Pilgergruppe auf dem Weg nach Kevelaer, mehr weiß ich auch noch nicht. Ich kümmere mich gleich darum, wer hier noch in der Lage ist, Fragen zu beantworten. So was Furchtbares hast du noch nicht gesehen, glaub mir.«
* * *
Keine Stunde hatte das Team von der Spurensicherung unter Leitung des erfahrenen Kollegen Heierbeck gebraucht, um den Verdacht einer gezielten, vorsätzlich durchgeführten Tat zu erhärten. Mit stoischer Ruhe untersuchten sie routiniert den mittlerweile wieder auf die Räder gestellten Lkw, der zur Sicherung noch an breiten Gurten am gelben Kran der Firma Gardemann befestigt war. Heierbeck winkte der Hauptkommissarin zu, wollte einen kurzen Zwischenbericht abliefern. Karin Krafft näherte sich zögerlich dem Unglücksfahrzeug. Dieser Unfallort jagte ihr einen Schauer nach dem nächsten über den Rücken, sie konnte sich dieses Unbehagen nicht erklären.
»Keine Papiere, der Fahrer hatte absolut nichts bei sich, wodurch er zu identifizieren wäre. Ich wette, dass der Wagen gestohlen wurde, denn normalerweise führt ein Berufskraftfahrer alles mit. Ist schließlich teuer, ohne Papiere in eine Kontrolle zu geraten. Du kennst das, der Fahrzeugschein oder zumindest eine Kopie davon klemmt unter der Sonnenblende oder liegt im Begleitbuch im Handschuhfach. Nichts, nirgendwo der kleinste Hinweis auf Eigner oder Fahrer, keine persönlichen Gegenstände, nicht einmal eine Jacke.«
Karin Krafft
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