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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Elija. »Flavius Josephus berichtete über Jakobs gewaltsamen Tod im Jahr 62. Es ist nicht überliefert, ob er Kinder hatte, doch er wird als Zaddik beschrieben, als Gerechter, der die Mizwot hält.
    Paulus allerdings schreibt, dass die Brüder des Herrn verheiratet waren. Jeschuas Bruder Jehuda hatte mit Sicherheit Kinder. Zwei seiner Enkel waren Führer der nazoräischen Gemeinde, die als christliche Sekte von der Kirche bereits verketzert wurde. Das ist absurd, nicht wahr?« Elija schüttelte den Kopf. »Ich glaubte immer, der Apostel Paulus wäre der erste Häretiker gewesen, der einen ›anderen Jesus und ein anderes Evangelium predigte‹ als Petrus und die anderen Säulen der Gemeinde – oder Jeschuas eigene Familie!«
    »Woher weißt du von den Enkeln?«, fragte Menandros, noch immer zweifelnd.
    »Weil Eusebius sie in seiner Kirchengeschichte erwähnt.« Elija zog das Buch zu sich heran und schlug es auf. »Eusebius zitiert im dritten Buch Hegesippus. Hier steht …« Elijas Finger glitt die Zeilen entlang, während er las: »›Von der Familie des Herrn lebten noch die Enkel von Judas, von dem gesagt wird, er sei der Bruder des Herrn.‹ Weiter berichtet er, dass der Kaiser Domitian diese beiden Enkel empfing und sie über das Kommen des Messias und seines Reiches befragte. Daraufhin soll der Kaiser die Christenverfolgungen eingestellt haben.«
    »Und was wurde aus Mirjam?«, fragte Menandros mit gerunzelter Stirn. »Sie hatte unter dem Kreuz gestanden und am Ostersonntag das leere Grab entdeckt. Aber die Apostelgeschichte erwähnt sie nicht mehr. Maria Magdalena wird im orthodoxen Glauben als Heilige verehrt, die nach der Kreuzigung mit dem Lieblingsjünger nach Ephesos zog und dort auch starb. Ihre sterblichen Überreste liegen in meiner Heimatstadt Istanbul begraben.«
    »Mein Vater, der kühne Humanist, hielt Maria Magdalena für jenen Lieblingsjünger, der in Ephesos das vierte Evangelium verfasst hat, welches heute als Johannes-Evangelium bekannt ist«, warf ich ein.
    Elija war überrascht. » Das hat er gesagt? Obwohl der Lieblingsjünger als Mann beschrieben wird und gemeinsam mit Mirjam unter dem Kreuz und im leeren Grab erscheint?«
    »Die Trennung des namenlosen Lieblingsjüngers von Mirjam zur Erschaffung einer fiktiven zweiten Figur ist im griechischen Text leicht durchzuführen.«
    Menandros sah mich stirnrunzelnd an, doch dann nickte er.
    »Und was denkst du, Celestina?«, fragte Elija gespannt.
    »Ungeachtet der Tatsache, dass die Szenen unter dem Kreuz und im leeren Grab logische Widersprüche enthalten, die auf eine nachträgliche Bearbeitung schließen lassen, um ex nihilo das Trugbild des namenlosen männlichen Lieblingsjüngers zu erschaffen, glaube ich, dass weder Mirjam noch Johanan ben Savdai der vierte Evangelist waren. Auch wenn man in der Antike die Bezeichnung des Autors sehr weit fasste und damit oft nicht denjenigen meinte, der die Schreibbinse auf dem Papyrus führte, sondern denjenigen, der die Geschichte erzählte, die jemand anders dann in eigenen Worten niederschrieb. Weder Johanan noch Mirjam haben Philosophie studiert. ›Im Anfang war der Logos‹ – der erste Satz des Johannes-Evangeliums ist griechische Philosophie, und die Apotheosis, die Vergöttlichung des Heroen Jesus Christus, ist eine hellenistische Idee.«
    Als Menandros zustimmend nickte, fuhr ich fort:
    »›Reißt den Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten‹, ›Der Vater richtet niemand, denn das ganze Gericht hat Er dem Sohn gegeben‹, ›Ich und der Vater sind eins‹. Hätte Jeschua es gewagt, das öffentlich in Jerusalem zu verkünden, wäre er von der wütenden Menge gesteinigt worden, ob er nun der erwartete Maschiach war oder nicht. Pontius Pilatus hätte auf die Kreuzigung verzichten können. Und die Evangelisten hätten sich die Mühe sparen können, ihre ›wundervollen‹ Evangelien niederzuschreiben. Diese Worte wurden ihm in den Mund gelegt – aber weder von seinem Jünger Johanan noch von Mirjam.
    Andererseits hatte der Evangelist genaue Kenntnisse über die jüdischen Riten und Pilgerfeste. Er kannte Jerusalem, als wäre er dort aufgewachsen. Und er war bekannt mit Joseph ben Kajafa. Ich glaube, dass er ein Schriftgelehrter war – vielleicht sogar ein einflussreiches Mitglied des Hohen Rates.«
    Elija lächelte. »Wer, glaubst du, war der Lieblingsjünger?«
    »Mirjams und Martas Bruder Lazarus«, antwortete ich. »Rabbi Eleasar.«
    Elijas Augen funkelten – also

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