Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
Vom Netzwerk:
nicht mehr erheben.«
    Zu meinem Erstaunen nickte Antonio nachdenklich – mein Cousin und mein Geliebter hassten sich mit aller Leidenschaft und waren sonst schon aus Prinzip niemals einer Meinung.
    Zaccaria warf seinem besten Freund Antonio einen zornigen Blick zu, den dieser jedoch nicht beachtete.
    »Venedig darf die Juden nicht verärgern«, erklärte Tristan. »Wenn ein Converso wie Ibn Ezra nicht als Christ, sondern als Jude in Venedig leben will, dann soll er es in Gottes Namen tun. Der Prozess gegen ihn hat für Furcht und Unruhe unter den Juden gesorgt.
    Die Republik Venedig und der bei den jüdischen Bankiers hoch verschuldete venezianische Adel können es sich nicht leisten, dass die Juden ihre Truhen packen, ihr Vermögen aus Venedig abziehen und nach Istanbul oder Alexandria auswandern. Nach dem Bankrott der beiden größten venezianischen Banken, der Banca Pisani und der Banca Cappello-Vendramin, wäre das eine Katastrophe, von der sich die Serenissima nie mehr erholen würde – wie Kastilien und Aragón die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen der Vertreibung der Juden nie überwunden haben.«
    Zaccaria brauste auf wie ein Sturmwind, um Tristan eine verletzende Antwort entgegenzuschleudern, doch Antonio legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.
    »Diese furchtsamen Juden, wie Ihr sie in Eurer jugendlichen Arglosigkeit nennt, sind eine Gefahr für Venedig und damit für die Sicherheit des Staates!«, ereiferte sich Zaccaria. »Ich jedenfalls hielte es für sicherer, wenn die Juden nicht in allen Stadtteilen von Venedig wohnen würden, sondern in einem eigenen Judenviertel, wie es in anderen Städten wie Florenz oder Rom üblich ist.«
    »Zaccaria, ich bitte dich …«, versuchte Antonio seinen Freund zu beschwichtigen.
    »Und wo sollte Eurer Meinung nach dieses Judenviertel sein?«, unterbrach ihn Tristan. »Auf der Insel Giudecca, wie Euer Freund Giorgio Emo vor einigen Wochen vorgeschlagen hat?
    Oder wollt Ihr die Juden nach Murano verbannen, was der jüdische Gemeindevorstand Asher Meshullam zähneknirschend als ›akzeptable Lösung‹ bezeichnete, bevor im Senat noch unsinnigere Vorschläge wie eine Ausweisung nach Mestre oder Padua gemacht werden konnten?
    Wenn Murano Euer Vorschlag ist, dann lasst mich gleich die nächste Frage stellen: Wo sollen die Fischer von Murano wohnen – am Campo di San Polo? Und wo sollen sie ihre Fischerboote festmachen – im Canalazzo? Und wo sollen die Glasbläser von Murano künftig ihre Werkstätten einrichten – auf dem Rialto?
    Zaccaria, diesen Vorschlag könnt Ihr wohl nicht ernst meinen, denn die Feuer in den Werkstätten gefährden die Sicherheit der Stadt! Haben wir nicht deshalb schon vor Jahren das Ghetto, die alte Geschützgießerei im Sestiere di Cannareggio, stillgelegt?«
    Zaccaria spülte seine hitzige Antwort mit einem Schluck Wein hinunter.
    Leonardo Loredan, der sich einige Schritte entfernt mit Antonio Grimani unterhielt, hatte die Auseinandersetzung zwischen Zaccaria und Tristan beobachtet. Er verabschiedete den Prokurator und winkte mich zu sich.
    »Haben die beiden einander gerade den Krieg erklärt?«, fragte Leonardo besorgt, als ich zu ihm trat. »Falls sie heute Abend mit schwerem Geschütz und lautem Kanonendonner aufeinander losgehen wollen, ziehe ich mich rechtzeitig vom Schlachtfeld zurück und gehe schlafen.«
    »Dann würdest du den Höhepunkt des Abends verpassen.«
    »Glaubst du, dass er kommen wird?«, meinte er zweifelnd. »Das Bankett soll gleich beginnen, und bisher ist er …«
    »Er wird kommen!«, unterbrach ich ihn mit fester Stimme.
    Der Doge seufzte. »Was hast du bloß vor?« Er deutete auf das Buch in meinem Arm und auf die goldenen Lettern des griechischen Titels Megas Alexandros. »Der Buchtitel lässt mich das Schlimmste befürchten! Ziehst du in die Schlacht?«
    Ich lachte. »Nein, Leonardo! Ich will nur herausfinden, wer mein Freund und wer mein Feind ist – im Sinne des Evangelisten Matthäus, der schrieb: ›Wer nicht für mich ist, ist gegen mich‹, aber auch im Sinne von Markus und Lukas: ›Wer nicht gegen mich ist, ist für mich‹. Das ist ein sehr großer Unterschied!«
    »Um Himmels willen!«
    »Vertrau mir, denn ich werde siegen!«
    »Wirst du das?«, zweifelte der Doge angesichts des auf mich verübten Mordanschlages und zweier anonymer Drohbriefe.
    »Ja«, nickte ich. »Weil ich, wie Alexander der Große, selbst die Schlachtfelder wähle, auf denen ich siegen kann. Weil ich mir, wie er,

Weitere Kostenlose Bücher