Die Evangelistin
Prophezeiungen:
• Der Verrat ist eine Anlehnung an den Verrat Davids durch seinen Ratgeber Ahitofel, als dieser sich der Verschwörung von Davids Sohn Absalom anschloss (2. Buch Samuel 17,1–23).
• Jehudas Treuebruch auf dem Ölberg bezieht sich auf Davids Flucht vor der Rebellion seines Sohnes Absalom über das Kidron-Tal zum Ölberg, wo er betet – wie Jesus vor seiner Festnahme (2. Buch Samuel 17,13–30).
• Der Kuss ist eine dramatische Wiederholung des Kusses, den König Davids Feldherr Joab dem Amasa gibt, bevor er ihn tötet (2. Buch Samuel 20,9–10). Der Evangelist Johannes berichtet übrigens nichts von einem Judaskuss.
• Jehudas Lohn , die 30 Silberlinge, sind der Kaufpreis für einen Sklaven (Exodus 21,32 und Sacharja 11,12–13).
• Das Werfen der 30 Silberlinge in den Tempelschatz ist eine Anspielung auf Sacharja 11,13.
• Der Selbstmord durch Erhängen stammt aus der Geschichte von Ahitofels Verrat gegen König David (2. Buch Samuel 17,23). Sein Tod in der widersprechenden Version der Apostelgeschichte (Apostelgeschichte 1,18) ist dagegen eine Anspielung auf das Ende des Amasa, den Joab nach seinem Kuss tötete (2. Buch Samuel 20,10).
• Jehuda musste von Jesus ›Freund‹ genannt werden (Mt 26,50 – die Anrede kommt in den Evangelien sonst nicht vor), weil es in Psalm 41,10 heißt: ›Selbst mein Freund, auf den ich vertraute, der mein Brot aß, hat mich verraten.‹ Und auch in Psalm 55,13–14 wird der Verräter ›Freund‹ genannt.
Paulus widerlegt in seinem 1. Korintherbrief den Selbstmord/Tod des Jehuda, wenn er schreibt, dass Jesus nach seiner Auferstehung Schimon Kefa erschienen ist und anschließend den Zwölf – also auch Jehuda (1. Brief an die Korinther 15,5). Die Frage, warum wir in der Apostelgeschichte nichts mehr von Jehuda hören (siehe auch Anmerkung Gefolgsleute Jesu zu Jehuda, Bruder des Jakob, und Jehuda Sicarius) beantworten die apokryphen Thomas-Akten: Sie bezeichnen Judas Thomas, den Bruder Jesu, als den Apostel, der in Indien die ersten Christengemeinden gründete. Der Judas-Brief im Neuen Testament ist nicht von ihm verfasst worden.
Im Gegensatz zu Schimon Kefas Verrat an Jesus (mit seiner anschließenden Flucht) war Jehudas Verrat ein unverzichtbarer Bestandteil in der Dramaturgie der Heilsgeschichte. Jehuda wird in den Erzählungen der Evangelisten zum Todesengel der Pessach-Nacht und zum Sohn der Finsternis, der Jesus, den Sohn des Lichts, heller aufstrahlen lässt. Am Ende dieser literarischen Entwicklung ringt Jehuda, der Sohn des Satans, mit Jesus, dem Sohn Gottes.
Durch die pro-römisch/anti-jüdisch agierenden Evangelisten wird Jehuda mit spitzer Feder nicht als ein Jude gezeichnet, sondern als der Jude – als einer der von Gott verworfenen Juden, die Jesus kreuzigten (Mk 14,1, Joh 11,53, Apg 2,36 und 3,15 und 5,30, Paulus 1. Brief an die Thessaloniker 2,15). Für das Christentum wurde Jehuda im Lauf der Jahrhunderte zum Symbol für das Judentum und in letzter Konsequenz zur Rechtfertigung der jahrhundertelangen Judenverfolgung – von der Verfälschung der historischen Wahrheit durch die Evangelisten über die Zeit der Kreuzzüge, der Inquisition und der Judenpogrome bis zur Shoah.
Die dreimalige Verleugnung Jesu durch Petrus ist eine literarische Konstruktion zur dramatischen Darstellung jener Nacht, in der alle Jünger geflohen sind. Verheißungen AT : Psalm 41,9–10, Psalm 55,13–15, Erfüllungen NT : Mt 26,69–75, Mk 14,66–72, Lk 22,56–62, Joh 18,15–27. Es ist möglich, dass auch die angebliche Flucht der Jünger auf einer alttestamentlichen Prophezeiung beruht (vgl. Sacharja 13,7) und dass die Gefolgsleute Jesu gar nicht flohen, sondern bei der Festnahme auf dem Ölberg bewaffneten Widerstand geleistet haben – die Evangelien berichten von einer blutigen Revolte in Jerusalem.
Kirchengründung. Die Gründung der Kirche durch Jesus ist nicht historisch. Die Stelle ›auf diesem Stein werde ich meine Kirche (oder: Gemeinschaft) errichten‹ findet sich nur im Evangelium des Matthäus 16,18, nicht aber bei den Evangelisten Markus und Lukas, die das Bekenntnis des Petrus zu Jesus als Messias hingegen kennen (Mk 8,29 und Lk 9,20). Jesus fühlte sich zu den ›Schafen Israels‹ (im Sinne von ganz Israel) gesandt und verbot seinen Schülern die Heidenmission (Mt 10,5–6). Der Missions- und Taufbefehl am Ende des Evangeliums des Matthäus (28,19–20) ist eine spätere christliche Anfügung. Jesu Naherwartung des kommenden
Weitere Kostenlose Bücher