Die ewige Straße
überhaupt nicht langsamer zu steigen«, bemerkte Chaka.
Claver verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte so, sich warm zu halten. »Es muß sich verlangsamen. Habt Geduld.«
»Wie lange stecken wir hier drin fest?« wollte Quait wissen.
»Bis zum Gezeitenwechsel. Sechs Stunden oder so, schätze ich«, sagte Flojian.
Auf Clavers Vorschlag hin löschten sie alle Lampen bis auf eine. Er erklärte, daß er nicht wüßte, wieviel Luft ein Raum dieser Größe halten konnte, und daß die Lampen Sauerstoff verbrannten. Auf der anderen Seite war keiner bereit, in der kühlen Finsternis zu sitzen, während das Wasser immer weiter stieg. Die einzelne Lampe war ein Kompromiß.
Sie klammerten sich aneinander und versuchten, ihre gegenseitige Körperwärme auszunutzen, um sich vor der Kälte zu schützen.
Sie redeten viel. Meist drehten sich ihre Unterhaltungen um die Buchtitel, die sie im Verlauf ihrer Rettungsaktion gesehen hatten, und darum, wie sie am schnellsten alles aus diesem Raum und in Sicherheit bringen könnten, sobald der Wasserspiegel wieder fallen würde. Nach Clavers Meinung war es das beste, wenn sie alles so ließen, wie es war, und auf dem schnellsten Weg nach Brockett zurückkehrten. »Diesmal dürfte es keine Schwierigkeiten machen, ein Schiff zu chartern«, meinte er.
»Das werden ziemlich lange sechs Stunden«, bemerkte Chaka.
Da sie nichts mehr tun konnten außer Abwarten, versuchte Quait sich abzulenken, indem er die Titel überflog. Einer fiel ihm besonders ins Auge: Anmerkungen über die letzten Tage, von Abraham Polk. Er zeigte ihn den anderen. »Wenigstens erfahren wir am Ende doch noch die Wahrheit«, sagte er.
Die Unterhaltung wanderte hierhin und dorthin. Claver schwieg fast zwanzig Minuten. Schließlich sagte er: »Ich glaube, ich weiß jetzt, was der ersten Expedition widerfahren ist.«
»Ich dachte, das wüßten wir längst?« sagte Quait. »Sie wurden von der Flut überrascht und ertranken.«
»In gewisser Hinsicht mag das zutreffen«, sagte Claver. »Aber die Flut an sich steigt dazu nicht schnell genug. Außerdem wissen wir, daß sie nicht versucht haben, die Bücher zu retten, so wie wir.« Claver starrte in die Lampe und erschauerte. Er schlang die Arme um den Leib, und Chaka zog ihn mitfühlend näher zu sich heran. Quait meinte, ein Lächeln auf Clavers Lippen zu entdecken, aber vielleicht hatte ihm auch das Licht der Öllampe einen Streich gespielt. »Nein«, sagte der alte Mann. »Ich denke, sie fanden alle Räume in dem gleichen Zustand vor wie wir diesen hier. Trocken. Sie sahen keine Gefahr, genausowenig wie wir. Der Korridor war damals wahrscheinlich auch noch trocken, also kann man ihnen für ihre Dummheit noch weniger Vorwürfe machen als uns. Sie brachen in die Bibliotheksräume ein und öffneten eine Tür nach der anderen. Zum Glück hatten sie noch nicht alle geöffnet. Und dann fingen sie an, die Bücher nach draußen zu schaffen.
Allerdings war eine Sache damals anders als bei uns heute. Als die erste Expedition in die zentrale Kammer unter der Treppe kam, war einer der vier Korridore durch ein Tor versperrt.«
»Das stimmt nicht«, widersprach Flojian. »Alle Gänge waren offen.«
»Als wir herkamen, standen alle Korridore offen. Und zwar deswegen, weil Kariks Leute dieses eine Tor geöffnet hatten. Und was fanden sie dahinter?«
»Den See«, sagte Quait.
»Am Ende, ja. Aber zuerst fanden sie ein zweites Tor.« Claver wartete, bis seine Zuhörer diesen Sachverhalt verdaut hatten, dann fuhr er fort. »Nach der Legende kehrte die Quebec zu diesem Ort zurück und legte hier an. Falls das stimmt, gab es eine Kammer für das Tauchschiff. Ich glaube, der See ist genau diese Kammer.
Irgend etwas ging schief. Welches System sie auch immer hatten, um den Wasserstand im Innern der Kammer niedrig zu halten – es versagte. Vielleicht klemmte eine Außenschleuse, und sie konnten die Kammer nicht mehr zum Meer hin versperren. Was auch immer. Irgendwann versagte auch das Belüftungssystem und stellte seine Arbeit ein. Nachdem das geschehen war und die Luft frei zirkulierte, stieg und fiel das Wasser im Innern der Kammer zusammen mit Ebbe und Flut. So, und jetzt betrachtet den Korridor mit den beiden massiven Toren.«
Chaka dachte nach, aber sie verstand beim besten Willen nicht, worauf Claver hinaus wollte, genausowenig wie Quait und Flojian.
»Ich vermute, die Tore waren so konstruiert, daß immer eins geschlossen sein mußte, bevor das andere sich öffnen
Weitere Kostenlose Bücher