Die fabelhaften 12 - Der Schlüssel: Band 3 (German Edition)
das kann ich!
Es sah aus wie eine Zeitrafferaufnahme von einer verfaulenden Apfelsine.
Das Fell des Ungeheuers war verschwunden, stattdessen sah man nur noch kriechenden Schimmel. Die Arme verdorrten. Die Beine waren nur noch Stängel. Das Monster fiel bäuchlings auf mehrere Autos.
Das andere Viech – das Mack mit dem Auto angefahren hatte – machte nun einen hastigen Rückzieher.
So etwas hatte es noch nie gesehen. Es hatte noch nie erlebt, dass einer seiner Artgenossen von einem schmächtigen kleinen Lockenkopf erledigt wurde, der etwas in einer alten, vergessenen Sprache faselte.
Weitere Gendarmen und Polizeibeamte kamen mit blinkendem Blaulicht und wildem Sirenengeheul angefahren. Es wurde wieder geschossen. Diese Pariser Nacht war ein Schlachtfeld.
Mack rannte zur Brüstung und sah, dass Dietmar ans andere Ufer geschwommen war und nun krampfhaft versuchte, sich an den glitschigen Steinen hochzuziehen.
»Alle hierher!«, rief Mack mit einer Stimme, die in etwa so laut war wie ein Millionstel des Gudridan-Gebrülls. »Kommt!«
Sie formierten sich um ihn. Stefan humpelte und hielt sich die Seite, Jarrah pflückte Gudridan-Fell zwischen ihren Zähnen hervor, Sylvie und Xiao wirkten zerstört und zerzaust.
»Dietmar ist drüben. Wir laufen jetzt einfach los und hoffen, dass die Polizei denkt, wir wären nur normale Leute, die um ihr Leben rennen!«
Das taten sie auch.
Und das nahm die französische Polizei auch an, während sie emsig in den Rücken eines fliehenden Monsters feuerten.
Die zerschlagenen Fabelhaften sammelten einen nassen und glitschigen Dietmar ein und eilten zitternd und zutiefst schockiert zum Eingang der Pariser Unterwelt.
20
W ährenddessen drüben in Sedona
Der Golem kletterte von der Wand.
Er ging zu seinem – zu Macks – Schreibtisch und nahm das iPhone in die Hand. Mack hatte ihm gesagt, er solle ihn in Ruhe lassen, sich wie ein großer Junge benehmen und selbst für sich sorgen.
Aber den Golem plagte ein sehr unangenehmes Gefühl in dem lehmigen Loch, das er sich gegraben hatte und das nun als sein Magen fungierte.
Er schrieb Mack eine SMS:
Er überlegte, einen Smiley hinzuzufügen. Das tat er öfter. Aber es kam ihm irgendwie falsch vor. Also tippte er ›:-(
Und drückte auf ›Senden‹.
Die SMS flog davon, von Sedona nach Paris. Dort gelang es dem Telefonsignal nicht, in die Tiefen der gemauerten Kanäle zu dringen.
21
D ie Abwassertunnel sind größer, als man denkt. Manche sind so groß, dass sie auch als U-Bahntunnel durchgehen würden. Andere sind enger oder mit tropfenden Metallrohren zugebaut, die an den gemauerten Tonnengewölben entlanglaufen.
Der Bereich der Kanäle, der bei einer Besichtigung gezeigt wird, ist gesichert und gut beleuchtet. Es gibt Metallstege und Geländer. Und Schilder, die zu den Ausgängen weisen.
Aber das gilt nur für den Teil, der besichtigt werden kann. Das Tunnelsystem geht noch Kilometer um Kilometer weiter. (Und hinter den Abwassertunneln sind noch andere, hier und da mit ihnen verbundene Tunnel, über die niemand sprechen möchte. Aber dazu kommen wir später.)
Die letzte Besichtigung war längst vorüber und der Eingang war fest verriegelt (dahin sind 24 Euro für ungenutzte Tickets), aber Sylvie drehte geschickt an dem Zahlenschloss.
»Das hier ist ein Nebeneingang«, sagte sie. Mein Großvater ist einer der Ingenieure, die das Tunnelsystem für Besichtigungen instand halten. Durch ihn hab ich auch dieses perfekte Versteck gefunden.«
Sie traten ein und bemerkten im selben Moment dieses Aroma. Ja, sagen wir ruhig Aroma . Klingt viel vornehmer als Gestank .
»Der Lichtschalter ist an der Wand«. Man hörte, wie Sylvie über das Mauerwerk tastete, dann ein lautes Schnappen, und schon durchflutete Licht das Gewölbe. Sie waren in einem Tunnel mit Bogendach, aus Kalkstein. Entlang der Wand verliefen Rohre, vier oder fünf in verschiedenen Größen.
Und dazu dieses Aroma.
»Hier entlang«, sagte Sylvie und führte sie über einen eisernen Steg. Der Steg machte eine scharfe Linkskurve, weg von den Rohren in einen Tunnel, in dem es weniger stank, der aber älter zu sein schien. Das Mauerwerk war verwittert und brüchig.
»Dieser Bereich ist für Besichtigungen zu unsicher«, erklärte Sylvie.
»Und für uns ist es hier sicher?«, wunderte sich Dietmar.
»Ist es nicht. Aber dieser Tunnel führt uns zum Versteck.«
Der Tunnel war enger geworden. Ein groß gewachsener Mann hätte nicht mehr aufrecht darin gehen können.
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