Die Fahrt des Leviathan
einmal war ihm alles gleich. Pfeyfer wandte sich ab, um zu gehen und ihn seinem Schicksal zu überlassen.
Er hatte gerade zwei Schritte zurückgelegt, da knallte ein Schuss. Pfeyfer fuhr herum und sah sich Beaulieu gegenüber, der einen faustgroßen Stein in der erhobenen Hand hielt, bereit, ihm den Schädel zu zertrümmern. Seine Augen waren starr aufgerissen. An der Seite seines Kopfes rann Blut aus einem fingerdicken Loch.
Das Fragment eines Lidschlags lang stand Beaulieu aufrecht. Dann kippte er zur Seite und fiel mit einem dumpfen Knirschen in den Schotter. Bevor Pfeyfer noch erfasste, was passiert war, kam Junger-Fuchs herbeigerannt, in der Hand seinen rauchenden Revolver.
»War eine gute Idee, die Patrone aufzubewahren. Finde ich jedenfalls«, keuchte er erleichtert.
Pfeyfer wurde schwarz vor Augen.
Mit einem Notizbüchlein in der Hand schritt General von Moltke über das Schlachtfeld. Die überlebenden Konföderierten, die etwas abseits zusammengetrieben wurden, interessierten ihn nicht sonderlich; sein Hauptaugenmerk galt den anderen. Aufmerksam inspizierte er die Leichen, schätzte ihre Anzahl und betrachtete die Einschüsse in den Körpern. Gelegentlich schrieb er seine Beobachtungen in kurzen, genau gewählten Worten nieder.
Im Großen und Ganzen war er ausgesprochen zufrieden. Das preußische Zündnadelgewehr hatte sich auch im ernsthaften Gefecht als erfreulich effektiv erwiesen. Eine Erkenntnis, die seiner Stimmung ausgesprochen zuträglich war.
Moltke steckte das Notizbuch ein und machte sich dann auf den Weg zurück zum wartenden Zug, umsichtig bedacht, dabei nicht auf Tote zu treten.
* * *
Hendricks hielt Täubrich die Taschenuhr vor die Augen. »Punkt zwölf! Es ist soweit«, verkündete er. Seine Augen glänzten fiebrig, und er wurde von Zuckungen geschüttelt. Doch er schien das nicht einmal wahrzunehmen. »Ein paar Sekunden bleiben dir noch. Mach was draus … wenn du kannst.«
Er schnaubte ein rasselndes Lachen aus Mund und Nasenöffnung hervor, stieß die Tür auf und humpelte immer noch heftig lachend aus dem Raum. Kaum war der Kapitän fort, da holte Täubrich das Skalpell aus der Manschette hervor. Seine Finger flatterten; er versuchte, sich zusammenzureißen. Jede falsche Bewegung, jeder verlorene Moment konnte das Ende bedeuten. Hastig durchtrennte er das Seil seiner Fußfesseln, sprang auf und stürmte aus der Tür. Erst im Laufen riss er sich den Knebel aus dem Mund.
Er rannte aus der Kabine, den Korridor entlang, zum nahen Laderaum. Schon konnte er das Knarren von Holz hören. Hendricks hatte ein Fass geöffnet. Als Nächstes würde er ein Streichholz entzünden. Nur noch ein Augenblick, ein winziger Augenblick!
Er erreichte den Laderaum. Wenige Schritte vor ihm stand Hendricks vor einem offenen Fass, in den Fingern ein brennendes Zündholz, und blickte ihn wie erschlagen an. Aber seine Verblüffung hielt nicht vor.
»Zu spät, Doktor«, rief er aus, und seine Stimme überschlug sich in triumphierendem Wahn. »Wir gehen alle hoch, stinkender preußischer Wurstfresser, alle!« Er hielt das Streichholz über das Fass.
Täubrich lag ein Schrei in der Kehle.
Da fuhr Hendricks zusammen. Zuckungen überkamen ihn, nahmen ihm für einen Moment die Kontrolle über seinen Körper. Täubrich stürzte sich auf ihn. Doch er hatte zu viel Schwung. Er riss den Kapitän nieder, strauchelte dabei aber ebenfalls, prallte gegen die Fässer und stieß sich den Hinterkopf. Am Boden liegend, zerrte Hendricks seinen Colt aus dem Hosenbund. Schwer röchelnd richtete er die Waffe auf den Arzt. Täubrich blickte direkt in die Mündung.
Aus!,
war sein einziger Gedanke. Er kniff die Augen zu.
Ein Knall. Sein ganzer Körper krampfte sich zusammen. Er wartete angstvoll auf den Schmerz.
Doch nichts geschah. Unsicher öffnete er die Lider. Vor ihm lag Hendricks, flach auf den Boden gesunken. Die Hand umkrampfte noch immer den Revolvergriff.
Perplex blickte Täubrich auf. Am anderen Ende des Ganges traten vier Männer aus dem Halbdunkel. Zwei waren amerikanische Marineinfanteristen, von denen einer eine gerade abgefeuerte Pistole hielt. Von den anderen beiden trug einer die Uniform eines hohen Offiziers der US Navy, der andere hingegen war ein ältlicher Herr mit aristokratischen Zügen, gekleidet in einen zurückhaltend eleganten Gehrock.
»Mir scheint, dass wir zufälligerweise gerade zur rechten Zeit vorbeikamen«, meinte der Zivilist auf Deutsch und reichte Täubrich die Hand, um
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