Die Fahrt des Leviathan
dass sie vorher das Feld räumen.«
Pfeyfer wischte sich mit dem Ärmel über die mit Schweiß und Dreck verklebte Stirn. »Im Leben nicht«, entgegnete er mit Blick auf die sich erneut sammelnden Konföderierten. Wieder schickten die sich an, eine Angriffskolonne zu formieren.
Er dachte an Rebekka. Und er befahl, dass sich alle bereitmachen sollten, einen weiteren Angriff abzuwehren.
* * *
»Zwölf Minuten!«
Hendricks lachte rasselnd. Ein irres Flackern stand in seinen Augen, während er durch das Bullauge die Menschenmenge am Ufer betrachtete.
»Zwölf Minuten haben die ganzen Bastarde noch zu leben, dann kracht’s! Weg ist das Ungeziefer, von der Erde getilgt!«
Abrupt riss er den Kopf herum und blickte hinab auf Täubrich. »Die wissen nicht, was auf sie zukommt. Aber du. Interessantes Gefühl, was?« Seine zerstörten Lippen verzogen sich zu einem monströsen Grinsen. Die narbig verwachsenen Mundwinkel klafften zu Höhlen auf, aus denen die Zähne hervorstarrten. »Was meint der Experte, wie viele Gallonen Hirn werden gleich durch die Luft spritzen?«
Sein Lachen steigerte sich zu einem infernalischen Röhren, das Täubrich durch Mark und Bein drang. Von Entsetzen gepackt biss der Arzt so fest auf den vollgesogenen Knebel, dass sich ein Schwall Speichel in seinen Rachen ergoss. Unwillkürlich presste er das Handgelenk auf den Oberschenkel. Er wusste, dass in seiner Manschette das Skalpell steckte. Aber er musste es auch fühlen, wollte er nicht vor Angst den Verstand verlieren.
Hendricks wandte sich wieder zum Bullauge. Sein Lachen ging in ein pumpendes Keuchen über.
* * *
»Es ist vorbei«, keuchte Junger-Fuchs abgekämpft. »Noch mal halten wir nicht stand.«
Pfeyfer nickte wortlos. Zwar hatten sie auch den fünfzehnten Angriff abwehren können, doch nun war die letzte Munition verschossen. Einer erneuten Attacke würden sie nur mehr ihre Bajonette entgegenzusetzen haben. Und ihre Feinde waren, ungeachtet aller Verluste, nach wie vor an Zahl weit überlegen. Erschöpft, doch weder gebrochen noch entmutigt. Ganz im Gegenteil, jeder Rückschlag schien ihre Verbissenheit, ihren Ingrimm gesteigert zu haben. Nun wurden sie von fanatischem Furor getrieben. Und sie spürten die Schwäche ihrer Gegner. Wie ein Raubtier, das das Blut seiner verwundeten Beute witterte und zum finalen Prankenhieb ausholte.
Vorsichtig hob Pfeyfer den Kopf und schaute hinüber zum anderen Ufer.
Die Südstaatler formierten sich neu. Sie würden es wieder versuchen. Eine beklemmende Enge legte sich um seinen Brustkorb.
Wir werden sterben,
dachte er. Ihn wunderte, wie gefasst er das Unausweichliche hinnahm. »Und wir werden nicht einmal wissen, ob es zu irgendwas gut war«, führte er den Satz verschwindend leise zu Ende.
»Nur wer den Kampf meidet, unterliegt ganz gewiss«, sagte Junger-Fuchs kaum lauter. »Oder wie immer Prinz Heinrichs Worte noch mal waren.«
Pfeyfer verdrehte abfällig die Augen und gestand ein: »Ich habe das Zitat nie so recht leiden können. Und jetzt am allerwenigsten. Hoffentlich hat man ihm diesen dummen Ausspruch nur untergeschoben.«
Der Hauptmann klappte seinen Revolver auf, um die Kammern der Trommel zu inspizieren. »Eine Patrone noch«, stellte er fest. »Die bewahre ich mir bis zuletzt auf. Lebendig will ich denen nicht in die Finger geraten.«
»Und ich will möglichst viele von ihnen mitnehmen, bevor es mich erwischt. Würdest du mir deinen Degen überlassen, Ludwig?«, bat Pfeyfer, düster zum Äußersten entschlossen.
Der Sieg war nah, zum Greifen nah. Beaulieu fühlte es. Beim letzten Angriff war das Feuer der Preußen dünn geworden und früh versickert. Sie hatten keine Munition mehr. Sie waren jetzt wehrlos. Der nächste Schlag würde sie zerbrechen, wie verbissen sie sich auch wehren mochten.
Beaulieu zog den Säbel und stellte sich an die Spitze der neu formierten Kolonne. Der hartnäckige Widerstand hatte seine Soldaten in blinden Hass versetzt. Von diesem getragen sollten sie jetzt das Werk vollenden.
»Vorwärts, Männer!«, brüllte er. »Vergeudet keine Kugel an die Schweine! Spießt sie mit dem Bajonett auf! Zum Angriff!«
Unter aufgepeitschtem Hurrageschrei marschierten die Südstaatler zum sechzehnten und letzten Mal auf die Brücke zu.
Pfeyfer sah sie kommen. Ihre gellenden Kampfrufe, das gleichförmige Stampfen ihrer Schritte dröhnten zu ihm herüber. Seine schweißnassen Finger klammerten sich fester um den Degengriff. Er war
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