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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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bereit.
    Und er war es nicht. Er wollte nicht sterben, nicht hier, nicht an diesem abscheulichen Ort. Nicht so sinnlos. Aber es stand fest. Es stand seit dem Moment fest, an dem er entschieden hatte dortzubleiben, um die Konföderierten aufzuhalten. Jetzt fragte er sich, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, ob es vielleicht einen anderen Weg gegeben hätte, den er einfach nicht sehen konnte oder wollte, weil sein Wesen ihn für jede Alternative blind machte.
    Was wird Rebekka von mir denken, falls sie je hiervon erfährt?,
ging es ihm durch den Kopf.
Wird sie stolz sein? Oder wird sie mich verfluchen für mein törichtes Pflichtgefühl und den Schmerz, den ich damit über sie bringe? Gott, was wird aus ihr?
    Er musste mehrmals schlucken; ihm war, als würde sein Hals zuschwellen.
    Nun hatten die Südstaatler die Brücke erreicht. Sie begannen, über die Leiber ihrer toten Kameraden hinwegzusteigen. Und sie kamen immer näher, allen voran Charles Beaulieu .
    »Dich schicke ich zur Hölle«, zischte Pfeyfer mit zusammengebissenen Zähnen. Die Hand, in der er den Degen hielt, zuckte nervös. Sein Herzschlag trommelte rasend in seinen Ohren.
    Das ist nicht mein Herz! Das ist etwas anderes! Das sind –
    Eine Kavallerietrompete erscholl. Und fast in derselben Sekunde brachen aus dem Wald jenseits des Flusses Reiter hervor, ganze Schwadronen preschten auf die Kolonne der Südstaatler zu. Die Hufe ihrer Pferde ließen Boden und Luft erzittern. Erstarrt sahen die Konföderierten das Unheil auf sich zukommen, unfähig zu reagieren, bis es zu spät war. Die Reiter krachten mit Macht in die Reihen der Südstaatler, ritten sie nieder, hieben mit ihren schweren Säbeln nach allem, was sich bewegte.
    Die Jäger konnten es nicht fassen. Erst nach ewig langen Augenblicken begriffen sie, dass sie gerettet waren. Sie sprangen auf, schrien, lachten wie von Sinnen, brachen hemmungslos in Tränen aus. Und während sie wie in einem Taumel die Todesgewissheit abwarfen, kamen in ihrem Rücken im Laufschritt Scharen von Infanteristen aus dem Wald geströmt, bezogen Stellung am Flussufer und eröffneten das Feuer auf die Südstaatler, die sich noch auf der Brücke befanden. Die Konföderierten fluteten Hals über Kopf zurück, auf die Säbel der Kavalleristen zu.
    Pfeyfer konnte es nicht glauben. Es kam ihm unwirklich vor, wie ein Traum, mit dem ihm sein Geist das Ende erleichtern wollte. Doch dann merkte er, dass alles real war. Und im selben Moment schnellte er empor. Er rannte auf die Brücke, mitten ins Gedränge der panisch zurückweichenden Konföderierten, schlug sich mit dem Degen den Weg frei, immer weiter. Charles Beaulieu sollte weder durch eine Kugel noch unter den Hufen eines Pferdes enden. Er wollte ihm selbst die Klinge an den Hals setzen, ihn wimmern sehen, die Wahrheit aus ihm herauszwingen. Dann sollte ihn der Teufel holen. Aber nicht vorher.
    Mit Hieben und Stichen bahnte Pfeyfer sich einen Pfad durch das Chaos.
    Angestrengt hielt er Ausschau nach Beaulieu . Und unversehens sah er sich ihm gegenüber.
    Eine lange Wunde klaffte auf der Wange des Südstaatlers; an seiner linken Schulter war die graue Uniform zerfetzt und mit Blut vollgesogen. Doch falls er Schmerzen empfand, vergaß er sie in dem Moment, als er plötzlich den schwarzen Major vor sich erblickte. Reißender Zorn packte ihn. Er ließ den Säbel durch die Luft schnellen.
    Doch Pfeyfer parierte den unbedachten Hieb mit seiner Klinge, holte zum Gegenangriff aus, hackte Beaulieu ins Handgelenk. Der Südstaatler röhrte auf, ließ die Waffe fallen und sackte mit verzerrter Miene auf die Knie.
    Pfeyfer drückte ihm die Degenspitze an die Kehle. Ein roter Tropfen quoll unter dem Stahl hervor. »Wer hat Heinze erschossen?«, schrie der Major. »Sag es! Raus mit der Sprache!«
    »Ich – ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht!«, wimmerte Beaulieu , kreidebleich in sich zusammengesunken.
    Der Major drückte fester gegen den Hals. »Du lügst! Du hast zugegeben, dass du es weißt, verdammter Schweinehund!«
    »Nein, nein, nein!«, krächzte Beaulieu flehentlich. »Ich wollte Sie damit nur – nur quälen! Ich weiß es wirklich nicht, wirklich, verschonen Sie mich!«
    Verstört ließ Pfeyfer den Degen sinken. Er wollte Beaulieu nicht glauben. Er wollte nicht glauben, dass er einer Chimäre nachgejagt war. Und doch wusste er, als er in das vor Angst erblasste Gesicht des Südstaatlers sah, dass es die Wahrheit war.
    Er hatte nicht mehr die Kraft, zuzustechen. Auf

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