Die Falknerin: Historischer Roman (German Edition)
gleichzeitig den großen Pfützen ausweichen musste, die sich auf dem noch halb gefrorenen Boden gebildet hatten.
Königin Sophie, Gattin des vierten Wenzel, blickte aus dem Fenster ihres Stadtpalastes ins Freie, wo sich die Bewohner wie bunte Perlen auf den mit hellen Kieseln ausgelegten Wegen tummelten. Nach einem nasskalten Winter genossen auch ihre Untertanen den Duft des sich ankündigenden Frühlings. Der Königin entgingen die leisen Seufzer ihrer jungen Hofdamen nicht, die nichts lieber getan hätten, als ihr Stickzeug beiseitezulegen und hinaus in den Garten zu stürmen. Niemals jedoch hätte es eine von ihnen gewagt, diesen Wunsch laut auszusprechen. Königin Sophie führte ihren Hof mit strenger Hand, so wie sie es vom Haus Wittelsbach, dem sie entstammte, gewohnt war. Sie duldete keinen Müßiggang und brachte nur wenig Verständnis für jugendliche Albernheiten auf. Man lebte in unruhigen Zeiten. Nicht einmal sie als Königin wusste, ob ihr Titel und Stand im nächsten Jahr noch sicher waren.
Ihr Gatte Wenzel hatte sich bislang als in jeder Hinsicht unfähiger und schwacher Monarch gezeigt. Dazu kam sein launisches, unberechenbares Wesen. Des Königs Misstrauen und sein Jähzorn machten vor niemandem Halt. Sophie erinnerte sich mit Schrecken daran, wie er bei einer Jagdgesellschaft seine geifernden Hunde auf den alten Vogt von Weida gehetzt hatte, einen treuen Vasallen, nur weil er es gewagt hatte, unaufgefordert einem Eber den Fangschuss zu geben, den des Königs Speer lediglich verletzt hatte.
Dabei war der Vogt von Weida ein wichtiger Verbündeter, der über die Gefolgschaft zahlreicher niederadeliger Familien in der Grenzgegend wie zum Beispiel der von Dobenecks und der von Zedtwitz’ verfügte. Zwar war es der Königin gelungen, den Zorn des Vogts zu besänftigen, dennoch war ein stolzer Mann gekränkt worden. Mit Wenzels Entscheidung, den Vogt auch noch unter das Joch des Hauses Wettin zu zwingen, war weiteres Öl ins Feuer gegossen worden. Seither fürchtete Sophie, der Weida könnte sich Sigismund, dem Halbbruder und Erzrivalen des Königs, anschließen, dem es schon einmal beinahe geglückt war, ihren Gatten Wenzel vom Thron zu stoßen.
Der König hatte eine Menge Zugeständnisse machen müssen, um seine böhmischen Lehnsleute hinter sich zu bringen, damit ihm die böhmische Krone blieb. Doch die Böhmen nutzten des Königs Schwäche gnadenlos aus – ohne ihm eine ehrliche Gefolgsmannschaft zu sein. Privileg um Privileg rangen sie ihm ab. Wohin das führte, sah man an den Folgen des Kuttenberger Dekrets für die Prager Universität. Seit die Böhmen dort das Sagen hatten, vergraulten sie die deutschstämmigen Gelehrten. Einer nach dem anderen packte sein Bündel und zog nach Leipzig. Dann war auch noch Jan Hus Rektor geworden und hatte ungehindert seine ketzerischen Ideen verbreitet. Jetzt war der Hus tot, verbrannt im Konstanzer Feuer, doch Sophie kam es so vor, als wäre sein geistiges Erbe damit nur noch gefährlicher geworden.
Solch dunkle Gedanken trieben die Königin um, während sie aus dem Fenster schaute. Nun aber schüttelte sie kaum merklich den Kopf, trat einen Schritt zurück und wandte sich wieder ihren Damen zu. Die Mädchen beugten sich schweigend über ihre Handarbeiten. Klein war ihr Hofstaat geworden, nur noch fünf Mädchen zur Erziehung und ein enger Kreis von Vertrauten. Die Königin schritt die Reihe ihrer Hofdamen ab, begutachtete die Stickereien und sparte nicht mit Lob, wenn ihr eine Arbeit gelungen schien, aber auch nicht mit Kritik, wenn sich eines der Mädchen nicht genug anstrengte. Sophie hatte sich stets bemüht, jedermann mit gleicher Elle zu messen – egal ob böhmischer oder deutscher Herkunft. In letzter Zeit jedoch schien das selbst an ihrem Hof nicht mehr möglich zu sein. Der stete Konflikt zwischen böhmischen und deutschstämmigen Vasallen schwärte auch unter ihren Damen. Die Töchter der böhmischen Adelsherren empörten sich ständig über angebliche Ungerechtigkeiten und eine Bevorzugung der deutschen Mädchen durch die Königin. Waren die jungen Damen erst einmal in Rage, ließen sie sich kaum mehr besänftigen, beklagten sich bei ihren Vätern, die dann wiederum vor dem König Beschwerde führten. Gleichzeitig jedoch piesackten sie die deutschen Mädchen, wo sie nur konnten.
Königin Sophie hatte anfangs versucht, die Mädchen zur Ordnung zu rufen, aber das schien die Sache nur zu verschlimmern. Zudem war es die Königin leid, sich immer
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