Die falsche Geliebte (German Edition)
Morgens zum Bois ritt, die Begegnung mit ihr, wenn sie in ihrem hübschen Wagen über die Boulevards fuhr, wie eine Blume in ihrem Blätterkelch – das alles flößte dem armen Thaddäus tiefe, geheimnisvolle Wonnen ein, die in seinem Herzen erblühten, ohne daß sich die geringste Spur davon auf seinem Gesicht zeigte. Wie hätte die Gräfin seit fünf Monaten die Anwesenheit des Kapitäns bemerken können? Er verbarg sich vor ihr, sorgte aber dafür, daß sie die Absicht nicht merkte. Nichts gleicht der himmlischen Liebe mehr als die hoffnungslose Liebe. Muß ein Mann nicht eine gewisse Herzenstiefe haben, um sich in Schweigen und Niedrigkeit aufzuopfern? Diese Tiefe, in der sich ein väterlicher und göttlicher Stolz birgt, bedeutet den Kult der Liebe um ihrer selbst willen, wie die Macht um der Macht willen das Lebensprinzip der Jesuiten war, – ein erhabener Geiz, der beständig schenkt und sich letzten Endes nach dem geheimnisvollen Wesen der Urkräfte der Welt gestaltet. Die Wirkung – ist das nicht die Natur? Aber die Natur ist verführerisch; sie gehört dem Manne, dem Dichter, dem Maler, dem Liebenden. Doch die Ursache – steht sie nicht in den Augen mancher höheren Seelen und mancher gigantischen Denker höher als die Natur? Die Ursache ist Gott. In dieser Sphäre der Ursachen leben Newton, Laplace, Kepler, Descartes, Malebranche, Spinoza, Buffon, die wahren Dichter und die Einsiedler des zweiten christlichen Zeitalters, die spanische Heilige Therese und die erhabenen Ekstatiker. Jedes menschliche Gefühl läßt Analogien auf diesen Zustand zu, worin der Geist die Ursache der Wirkung vorzieht. Auch Thaddäus hatte diese Höhe erreicht, wo alle Dinge ihr Aussehen wechseln. Im Banne unsäglicher Schöpferwonnen war Thaddäus in der Liebe das gleiche, was der Genius in seinen höchsten Ruhmestiteln ist.
»Nein, sie ist nicht völlig irregeführt,« sagte er sich, seine Pfeife weiterrauchend. »Wenn sie einen Widerwillen gegen mich faßte, könnte sie mich unwiderruflich mit Adam verfeinden, und wenn sie mir schöne Augen machte, um mich zu quälen, was soll dann aus mir werden?«
Diese letztere, höchst dünkelhafte Annahme lag dem bescheidenen Wesen und der fast deutschen Schüchternheit des Kapitäns so fern, daß er sich Vorwürfe darüber machte und sich zu Bett legte. Er nahm sich vor, die Ereignisse abzuwarten, bevor er einen Entschluß faßte. Am nächsten Tage frühstückte Clementine vergnügt ohne Thaddäus, ohne seine Unfolgsamkeit zu bemerken. Es war ihr Empfangstag, an dem sie eine königliche Pracht entfaltete. Sie bemerkte die Abwesenheit des Kapitäns nicht, auf dessen Schultern alle Einzelheiten dieser Galatage ruhten.
»Gut!« sagte Paz bei sich, als er die Equipagen um zwei Uhr davonrollen hörte. »Die Gräfin hat nur einer Laune oder einer Pariser Neugier gefrönt.« Er nahm also sein gewohntes Benehmen wieder an, das jener Zwischenfall für einen Augenblick gestört hatte. Dank den Ablenkungen des Pariser Lebens schien Clementine ihn vergessen zu haben. Glaubt man etwa, es wäre nichts, dies unbeständige Paris zu beherrschen? Glaubt man etwa, man setzte bei diesem hohen Spiel nur sein Vermögen ein? Die Winter sind für eine Modedame das gleiche, was die Feldzüge früher für die Soldaten des Kaiserreichs waren. Welch ein Werk der Kunst und des Geistes ist eine Toilette oder eine Frisur, die Aufsehen erregen soll! Eine zarte und schwächliche Frau trägt ihren harten, glänzenden Harnisch von Blumen und Diamanten, Seide und Stahl von neun Uhr abends bis um zwei, ja drei Uhr nachts. Sie ißt wenig, um die Blicke auf ihre schlanke Taille zu lenken. Dem Hunger, den sie während der Gesellschaft verspürt, begegnet sie mit entkräftenden Tassen Tee, süßem Kuchen, erhitzendem Eis und Schnitten schweren Gebäcks. Der Magen muß sich den Geboten der Gefallsucht fügen. Das Erwachen erfolgt sehr spät. Dann steht alles in Gegensatz zu den Naturgesetzen, und die Natur ist unerbittlich. Kaum aufgestanden, macht sich eine Modedame an die Morgentoilette und überlegt, was sie am Nachmittag anziehen wird. Hat sie keine Besuche anzunehmen oder zu machen, ins Bois zu reiten oder zu fahren? Muß sie sich nicht täglich in der hohen Schule des Lächelns üben, den Geist anspannen, um Komplimente zu schmieden, die weder trivial noch gesucht erscheinen? Und nicht allen Frauen gelingt das. Man wundere sich also nicht beim Anblick einer jungen Frau, die vor drei Jahren frisch in die Gesellschaft
Weitere Kostenlose Bücher