Die falsche Geliebte (German Edition)
hin, den Kapitän herabzusetzen: Paz war wohl seinem Freund Adam überlegen, aber kein bedeutender Mann. Seine offenbare Überlegenheit dankte er dem Unglück. In den Tagen des Elends und der Einsamkeit in Warschau las er, unterrichtete sich, verglich und dachte nach, aber den schöpferischen Funken, der den großen Mann macht, besaß er nicht. Und läßt er sich je erwerben? Paz hatte allein ein großes Herz und streifte hier das Erhabene, aber in der Geistessphäre war er mehr ein Mann der Tat als des Gedankens und behielt seine Gedanken für sich. Sein Denken diente damals nur dazu, ihm das Herz zu zernagen. Und was ist zudem ein unausgedrückter Gedanke? Bei Clementines Bemerkung tauschten der Marquis von Ronquerolles und seine Schwester einen eigentümlichen Blick und sahen dabei auf ihre Nichte, Graf Adam und Paz. Es war eine jener ganz kurzen Szenen, die nur in Italien und Paris möglich sind. An diesen beiden Stätten, sämtliche Höfe ausgenommen, können die Augen alles sagen. Um die ganze Kraft der Seele ins Auge zu legen, ihm die Macht der Rede zu geben, ein Gedicht, ein Drama mit einem Schlag auszudrücken, dazu bedarf es entweder äußerster Knechtschaft oder höchster Freiheit. Adam, der Marquis du Rouvre und die Gräfin bemerkten diese blitzartige Erkenntnis einer alten Kokette und eines alten Diplomaten nicht, aber Paz, der treue Hund, begriff, was dieser Blick verhieß. Es war wohlgemerkt das Werk zweier Sekunden. Den Orkan schildern zu wollen, der die Seele des Kapitäns durchtobte, wäre in der heutigen Zeit zu weitläufig.
»Wie! Onkel und Tante glauben schon, ich könnte Liebe finden?« sagte er sich im stillen. »Jetzt hängt mein Glück nur noch von meiner Keckheit ab! ... Und Adam? ...«
Ideale Liebe und Verlangen, beide ebenso mächtig wie Dankbarkeit und Freundschaft, kämpften miteinander, und die Liebe trug für einen Augenblick den Sieg davon. Der arme bewundernswerte Liebhaber wollte auch seinen guten Tag haben! Paz wurde geistreich, wollte gefallen und erzählte in großen Zügen den polnischen Aufstand, als der Diplomat ihn um eine Aufklärung bat. Nun sah Paz, es war beim Nachtisch, wie Clementine an seinen Lippen hing, ihn für einen Helden hielt und vergaß, daß Adam ein Drittel seines Riesenvermögens geopfert und die Leiden der Verbannung in Kauf genommen hatte. Um neun Uhr, nach dem Kaffee, gab Frau von Sérizy ihrer Nichte einen Kuß auf die Stirn, drückte ihr die Hand und nötigte Graf Adam mitzugehen. Der Marquis du Rouvre und Herr von Ronquerolles blieben noch zehn Minuten und gingen dann gleichfalls. Paz und Clementine blieben allein. »Ich will Sie verlassen, Gräfin,« sagte Thaddäus, »denn Sie werden zu den andern in die Oper fahren.«
»Nein,« entgegnete sie, »das Ballett macht mir keinen Spaß. Außerdem wird heute ein scheußliches Ballett gegeben: ›Der Aufruhr im Serail‹.« Einen Augenblick herrschte Stille.
»Vor zwei Jahren wäre Adam nicht ohne mich gegangen,« fuhr sie fort, ohne Paz anzublicken.
»Er liebt Sie wahnsinnig« ... versetzte Thaddäus.
»Nun, weil er mich wahnsinnig liebt, wird er mich morgen vielleicht nicht mehr lieben!« rief die Gräfin aus.
»Die Pariserinnen sind unerklärlich,« bemerkte Thaddäus. »Liebt man sie wahnsinnig , so wollen sie verständig geliebt werden, und liebt man sie verständig , so bekommt man den Vorwurf, man verstände nichts von Liebe.«
»Und doch haben sie stets recht, Thaddäus,« lächelte die Gräfin. »Ich kenne Adam gut und grolle ihm nicht. Er ist leichtsinnig und vor allem ein großer Herr. Er wird stets zufrieden sein, mich zur Frau zu haben, und wird mir in keiner meiner Neigungen hinderlich sein. Aber ...«
»In welcher Ehe gibt es kein Aber ?« versetzte Thaddäus sanft, um den Gedanken der Gräfin eine andere Richtung zu geben.
Auch der zaghafteste Mann hätte nun wohl den Gedanken gefaßt, der den Liebenden fast toll machte: »Wenn ich ihr nicht sage, daß ich sie liebe, bin ich ein Tropf!«
Zwischen beiden herrschte eine Weile ein furchtbares, gedankenschweres Schweigen. Die Gräfin beobachtete Paz verstohlen und ebenso beobachtete er sie in einem Spiegel. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück, wie ein satter Mann, der verdaut, mit der Gebärde eines Gatten oder eines gleichgültigen Greises, verschränkte seine Hände auf dem Bauche, drehte rasch und mechanisch die Daumen umeinander und blickte stumpfsinnig auf dies Spiel.
»Aber sagen Sie mir doch etwas Gutes von Adam!« rief
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