Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
Vom Netzwerk:
Saal zurückzugehen. Es wird kühl.
    Er schlägt die Stiefel zusammen und küsst ihre Fingerspitzen. «Es hat unendlich gutgetan, mit einer Landsmännin zu reden. Wir haben uns verstanden, wie nur unsereins sich versteht.» Dieser Abend bleibt ihm unvergesslich. Er schaut durch ihr Netz.
    Sie schlägt die Augen nieder, wie es sich geziemt.
    In Schwyz ist die Redingin mit dem Fremden allmählich in eine Affaire délicate geschlittert. Wochen sind vergangen, und noch immer hat er sich nicht erklärt, und niemand kennt den Zweck seines Aufenthalts. Er ist schweigsam. Spielt mit einem roten Tuch. Während sie plappert, schaut er immer wieder auf den Seidenwulst in seiner Hand. Er scheint überrascht, dass ein solch zartes Gewebe so viel wiegt.
    Er malt merkwürdige Zeichen in ein Heft.
    «Was bedeuten sie?» Die Redingin will alles erfahren. Seine Gedanken. Sein Geheimnis. Die Winkel seiner Seele.
    Er hat die Feder abgetrocknet, sie ordentlich in den Halter gesteckt und über das Papier gehaucht. Erst als die Schrift getrocknet ist, schaut er der Redingin in die Augen. «Es bedeutet Leben.» Und fügt bei: «Für meine Kinder.»
    Die Redingin bohrt die Spitze des Parasols in den Boden und starrt auf die Malerei. Sie sagt, dass sie es nicht verstehe. Die Malerei. Und auch nicht die Kinder.
    «Wie es gewesen ist, das Leben», erklärt er. «Schön und entsetzlich. Wie das Leben sein wird für meine Kinder, schön und entsetzlich. Eine ununterbrochene Kette von Schönem und Entsetzlichem.»
     
     
    Seine Kinder. Hat er gesagt.
    Sie klagt, dass sie schlecht schlafe, dass ihr Herzschlag hüpfe und aussetze.
    Solches passiere ihm nie, sagt Sebel, der Knecht. Wenn er sich aufs Stroh lege, sinke er in Tiefschlaf.
    Doch die Redingin geht von Fenster zu Fenster, hinaus auf die Terrasse und zurück ins Haus. Oft vergehen Tage, bis der Chinareisende sich im Herrenhaus zeigt. Sie leidet. Sie starrt in der Kirche auf die Armlehne der Chrützen. Ihr Kinn zittert, und die Augen füllen sich mit Wasser. Unvermittelt schickt sie Sebel nach dem Fremden. Er solle kommen, es sei wichtig.
    Sie rennt ihm entgegen, wenn er endlich den Weg heraufstapft. Sie reißt das Tor vor ihm auf. Wenn niemand in der Nähe ist, ergreift sie seine Hand, senkt die Lippen auf seine Finger und schmiegt rasch ihre Wange in die Handfläche hinein. Er zuckt zusammen, als wäre ihm die Berührung unangenehm, und lächelt gezwungen. Sie stockt. Dann teilt sie ihm die dringliche Sache in der Angelegenheit Bitzenin mit. Ihr sei eingefallen, dass diese sich als Waschfrau ins Herrenhaus einschlich, dass die Unverschämte ein Medaillon mit dem Bildnis von Maman an sich nahm. Dies sei nachzutragen. Dieser Berührungspunkt habe ihn doch interessiert? Das Zusammentreffen mit dieser Person und alles, was mit ihr in Verbindung steht?
    Mit einem roten Tuch spielend, nimmt er es zur Kenntnis.
    Es treibt die Redingin zur Weißglut, dieses Tuch. Sie schlägt die Hände vors Gesicht und weint. Später erbricht sie sich in den Pavillon.
    Sie findet keine Zeit zum Schachspiel mit Papas Gästen. Sie stickt mit zittrigen Fingern. Für ihre Aussteuer, heißt es. Sie setzt ihr Monogramm auf die Wäsche. Sie malt. Chinesische Zeichen, heißt es. Billets d’amour. Sie presst Blüten und legt sie zwischen Bücher, die sie aus der Bibliothek der Familie holt und dem Wissensdurstigen leihen will. Erinnerungen an sie, wenn er die Seiten aufschlägt. Doch er leiht sich keine Bücher.
    Bei jeder Gelegenheit fährt sie mit der Chaise aus und lässt sich umherkutschieren, bis sie irgendwo auf den Chinareisenden stößt.
    «Quel accident!», ruft sie überrascht. Sie heißt ihn einsteigen. Die Chaise fährt andere Wege als die vom Herrn Papa vorgegebenen. Hinaus aus dem Blickbereich der vielen Fenster. Und nur wenn Papa in den Ausblick des Turms hinaufsteigt, kann er die stockende Fahrt der Chaise beobachten. Der gemächliche Trott des Rosses, das kurze Getänzel beim Anhalten und bei der Weiterfahrt.
    Sebel meint, dass der Richter sich nichts so glühend wünsche wie das Fernrohr des Kaisers von China, um den Angriff des Feinds abzuwehren. Jeden Tag frage er, ob der Bericht der Jesuiten eingetroffen sei. Er sei übellaunig wie nie. Schreie im Hof herum, galoppiere mit seiner Stute davon, donnere die Reitstiefel in eine Ecke und schreie herum. Es gefalle ihm nicht, dass seine Tochter, sein Kind, umherflattere, wenn der Fremde sich nur schon von weitem zeige. Vor allem aber, dass sie ohne zu

Weitere Kostenlose Bücher