Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
PHILOSOPHIE UND POLITIK
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D ie Engländer zeichnen sich unter den Völkern des modernen Europa durch ihre hervorragenden Philosophen und ihre Verachtung für die Philosophie aus. Beides ist ein Zeichen für ihre Intelligenz. Missachtung der Philosophie wird jedoch – sofern man sie zum System entwickelt – wiederum selbst zu Philosophie – zu dem, was man in Amerika »Instrumentalismus« nennt. Ich möchte darauf hinweisen, dass schlechte Philosophie sehr gefährlich werden kann und deshalb den Grad negativen Respekts verdient, den wir etwa dem Blitz oder dem Tiger zollen. Welche positive Achtung einer »guten« Philosophie zukommen mag, will ich vorläufig dahingestellt sein lassen.
Die Beziehungen zwischen Philosophie und Politik sind in England weniger deutlich geworden als auf dem europäischen Kontinent. Empirismus ist im Allgemeinen mit Liberalismus verknüpft, doch war Hume immerhin ein Tory. Der philosophische Idealismus hat gewöhnlich auf ähnliche Weise eine Verbindung zum Konservatismus, doch war T. H. Green, ein Hauptgegner des Empirismus, politisch ein Liberaler. Auf dem Kontinent haben sich die Unterschiede klarer herausgeschält, und dort hat sich auch eine größere Bereitwilligkeit gefunden, Lehrgebäude als ein Ganzes anzuerkennen oder abzulehnen, ohne ihre Bestandteile einzeln einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Die Philosophie war in den meisten Kulturstaaten fast stets eine Angelegenheit, über welche die jeweiligen Machthaber eine offizielle Meinung hatten, und so ist es noch heute, mit Ausnahme der Länder, in denen eine liberale Demokratie herrscht. Die katholische Kirche ist an die Philosophie des Thomas von Aquino, das Sowjetsystem an die von Marx gebunden. Die Nationalsozialisten übernahmen den deutschen Idealismus in seinen Grundzügen, wenngleich das Maß der Kant, Fichte oder Hegel zu schuldenden Achtung im Einzelnen nicht festgelegt war. Katholiken, Kommunisten und Nationalsozialisten sind alle der Meinung, dass ihre Ansichten über Fragen der praktischen Politik unlöslich mit ihren theoretischen philosophischen Ansichten zusammenhängen. Der demokratische Liberalismus seinerseits war zur Zeit seiner ersten Erfolge mit der empirischen Philosophie verknüpft, wie sie Locke entwickelt hatte. Ich will nun diese Beziehung zwischen Philosophie und politischen Systemen in ihrer tatsächlichen Existenz betrachten und untersuchen, wie weit sie logisch stichhaltig ist und wie weit sie einer wenn nicht logischen, so doch psychologischen Zwangsläufigkeit unterliegt. Sofern eine dieser beiden Beziehungen tatsächlich besteht, kann die Philosophie eines Individuums tatsächlich in den engsten Zusammenhang mit Glück oder Unglück von weiten Teilen der Menschheit geraten.
Das Wort »Philosophie« ist in seiner Bedeutung keineswegs festgelegt. Wie das Wort »Religion« hat es eine verschiedene Bedeutung, je nachdem man es zur Beschreibung gewisser historischer Züge von Kulturen verwendet oder zur Bezeichnung einer Tendenz oder einer geistigen Haltung benutzt, die in der Gegenwart als wünschenswert erachtet wird. Soweit Philosophie an den Universitäten der westlichen demokratischen Welt als Studienfach betrieben wird, ist sie – zumindest der Absicht nach – ein Teil der wissenschaftlichen Arbeit und auf die gleiche Unabhängigkeit aus, die von den anderen Wissenschaften angestrebt wird; die Behörden verlangen von ihr nicht, zu Schlussfolgerungen zu gelangen, die der Regierung genehm sind. Viele Philosophieprofessoren würden sowohl die Zumutung von sich weisen, ihre Schüler in politischen Fragen zu beeinflussen, wie überhaupt die Ansicht, dass Philosophie in ihren Jüngern Tugenden heranbilden solle. Das kann, so würden sie sagen, ebenso wenig Angelegenheit des Philosophen wie des Physikers oder Chemikers sein. Das einzige Ziel der Universitätsausbildung sollte das Wissen sein; die sittliche Bildung junger Menschen sollte Eltern, Schullehrern und den verschiedenen Konfessionen überlassen bleiben.
Aber diese Auffassung von der Philosophie, für die ich viel Sympathie hege, ist etwas sehr Neues und selbst in der modernen Welt wenig verbreitet. Ihr steht eine völlig andere Ansicht gegenüber, die seit dem Altertum vorherrschend gewesen ist, und der die Philosophie ihre soziale und politische Bedeutung verdankt. In diesem historisch üblichen Sinne ist Philosophie aus dem Versuch einer Synthese zwischen Wissenschaft und Religion
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