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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Vaterhauses geschehen war.
    Bridget hörte ihm zu, ohne daß eine Thräne ihre Augen netzte. Sie hatte schon das Weinen verlernt.
    Doch sollte es denn wahr sein, daß eine solche Lage ohne Ende andauern konnte? War es möglich, daß die Erinnerung an einen Verrath unvergeßlich und daß die Verantwortung für ein Verbrechen auch auf Unschuldigen lasten blieb? Stand es denn im menschlichen Bewußtsein geschrieben, daß der Fleck, der auf den Namen einer Familie gefallen, niemals wieder verwischt werden konnte?
    Eine kurze Zeit wurde zwischen der Mutter und den beiden Söhnen kein Wort gewechselt; sie sahen einander nicht einmal an, und ihre Hände hatten sich von einander gelöst. Alle litten schrecklich. Ueberall also, nicht allein in Chambly, würden sie Parias sein, »Outlaws«, welche die Gesellschaft von sich stößt, welche sie sozusagen außerhalb der Gemeinschaft der Menschen hinstellt.
    Gegen drei Uhr nach Mitternacht dachten Johann und Joann daran, ihre Mutter zu verlassen. Sie wollten jedenfalls wieder fortgehen, ohne die Gefahr, gesehen zu werden. Ihre Absicht ging auch dahin, sich gleich vor der Ortschaft zu trennen. Es schien von Wichtigkeit, daß sie Niemand zusammen auf der Straße sah, auf welcher sie durch die ganze Grafschaft zogen. Niemand sollte wissen, daß die Thür des geschlossenen Hauses sich diese Nacht vor den einzigen Besuchern, welche je seine Schwelle überschritten, geöffnet hatte.
    Die beiden Brüder hatten sich erhoben. Im Augenblicke einer Trennung, welche vielleicht ewig andauern sollte, empfanden sie es doppelt, wie die Bande der Familie sie aneinander knüpften. Zum Glück hatte Bridget keine Ahnung davon, daß auf den Kopf Johanns ein Preis ausgesetzt war.
     

    Sie waren da, bei ihr, und saßen an ihrer Seite. (S. 149.)
     
    Wenn das auch Joann bekannt war, so hatte diese schreckliche Nachricht mindestens noch nicht in die Einsamkeit des geschlossenen Hauses zu dringen vermocht. Johann wollte seiner Mutter natürlich nichts davon sagen; was hätte es auch nützen können, deren Schmerzen noch zu verschlimmern, und hätte Bridget es zu anderem Zwecke erfahren, als um die Angst und Sorge, ihren Sohn niemals wiederzusehen, nur noch zu vergrößern?
    Der Augenblick der Trennung war gekommen.
    »Wohin wendest Du Dich, Joann? fragte Bridget.
    – Nach den Kirchspielen im Süden, antwortete der junge Priester. Dort denke ich die Stunde abzuwarten, mich meinem Bruder anzuschließen, wenn dieser sich an die Spitze der canadischen Patrioten gesetzt hat.
    – Und Du, Johann?
    – Ich begebe mich nach dem Pachthofe zu Chipogan, in der Grafschaft Laprairie, erklärte Johann. Dort werd’ ich meine Genossen finden, und dort müssen wir noch die letzten Maßregeln besprechen… inmitten jener reinen Familienfreuden, die uns versagt sind, meine geliebte Mutter! Die braven Leute daselbst haben mich wie einen Sohn aufgenommen…. Sie würden ihr Leben für das meinige hingeben!… Und doch, wenn sie erführen, wer ich bin, welchen Namen ich trage…! Ach, wie elend sind wir doch, wir, deren Berührung schon als eine Schande gilt!… Sie werden aber nichts erfahren… weder sie noch irgend Jemand!«
    Johann war auf den Stuhl zurückgesunken und preßte, vernichtet von einer Last, die er alle Tage schwerer fühlte, die Hände vor das Gesicht.
     

    Im Dorfe Walhatta. (S. 157.)
     
    »Steh’ auf, Bruder, sagte Joann. Sieh, das bringt Dir Versöhnung, daß Du stark genug bist, um leiden zu können!… Komm’, steh’ auf, wir wollen weiterziehen!
    – Und wann werde ich Euch wiedersehen, Kinder? fragte Bridget.
    – Hier nicht mehr, liebste Mutter, antwortete Johann. Wenn wir obsiegen, so verlassen wir alle Drei dieses Land… und gehen weit, weit weg… wo Niemand uns erkennen kann. Wenn wir Canada seine Unabhängigkeit wiedergeben, so soll es doch nimmer erfahren, was es den Söhnen Simon Morgaz’ schuldet… Nein… niemals!
    – Und wenn Alles verloren ist? fuhr Bridget fort.
    – Dann, meine gute, liebste Mutter, dann sehen wir uns weder in diesem Lande, noch in einem anderen wieder… dann sind wir nicht mehr unter den Lebenden!«
    Die beiden Brüder warfen sich zum letzten Male in die Arme ihrer Mutter. Dann öffnete sich die Thür und schloß sich wieder.
    Noch etwa hundert Schritte machten Johann und Joann auf der Landstraße zusammen, dann trennten sie sich mit einem letzten Blicke auf das geschlossene Haus, in dem eine Mutter für ihre Söhne betete.
Zehntes Capitel.
Der Pachthof zu

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