Die Familie ohne Namen
Patriotismus zog die Bevölkerung der kleinen Städte und des Landes zu ihm heran. In der letzten Zeit war sein Ruhm nur noch gewachsen und stand eben jetzt auf der höchsten Stufe.
Johann hatte sich der reformatorischen Bewegung zwar nicht mit der Macht der Rede, aber mit der That angeschlossen.
Obwohl der Aufstand 1831 ebensowenig geglückt war, wie der von 1835, so hatte sich sein Ansehen doch keineswegs vermindert. Die große Menge betrachtete ihn als den geheimnißvollen Anführer der Söhne der Freiheit. Er erschien zur Stunde, wo er mit seiner Person eintreten mußte, und verschwand ebenso, um sein Werk weiterzuführen. Der Leser weiß, zu welch’ hohem Ansehen er sich in der Partei der liberalen Opposition emporgeschwungen hatte. Es schien fast, als ob die Sache der Unabhängigkeit in den Händen eines einzelnen Mannes, jenes Johann ohne Namen, wie er sich selbst nannte, läge und als ob die Patrioten von ihm allein das Zeichen zu einem neuen Aufstande erwarteten.
Die Stunde desselben war schon nahe. Noch einmal, bevor sie sich in dieses Unternehmen einließen, hatten Johann und Joann, welche der Zufall in Chambly zusammengeführt hatte, sich nach dem geschlossenen Hause begeben wollen, um ihre Mutter – vielleicht zum letzten Male – wiederzusehen.
Jetzt waren sie nun da, bei ihr, und saßen an ihrer Seite. Sie hielten ihre Hand und sprachen mit gedämpfter Stimme. Johann und Joann erklärten ihr, wie die Dinge jetzt lagen. Der Kampf mußte entsetzlich werden, wie jeder Verzweiflungskampf.
Durchdrungen von den Empfindungen, von denen ihr Herz überwallte, gab sich Bridget der Hoffnung hin, daß das Verbrechen des Vaters endlich durch die Söhne seine Sühne finden werde. Dann nahm sie das Wort:
»Mein Johann und mein Joann, sagte sie, ich muß wohl Eure Hoffnungen theilen, muß wohl an den Erfolg glauben.
– Ja, Mutter, wir dürfen daran glauben, antwortete Johann. Binnen wenigen Tagen wird die Bewegung ausbrechen…
– Und Gott gebe uns den Sieg, der jeder gerechten Sache zukommt, setzte Joann hinzu.
– Ja, Gott leihe uns seine Hilfe, erwiderte Bridget, und vielleicht werde ich endlich das Recht haben zu beten für…«
Bisher war niemals, nein, niemals ein Gebet gekommen über die Lippen dieser unglücklichen Frau für die Seele Desjenigen, der einst ihr Gatte gewesen war.
»Mutter, sagte Joann, meine liebste Mutter…
– Und Du, mein Sohn, unterbrach ihn Bridget, hast Du jemals für Deinen Vater gebetet, der Du Diener des vergebenden Gottes bist?«
Joann senkte den Kopf ohne zu antworten.
Bridget fuhr fort:
»Meine Kinder, bisher habt Ihr Eure Schuldigkeit gethan, vergeßt aber nicht, wenn Ihr Euch opfert, so habt Ihr nur Eure Pflicht erfüllt. Und selbst, wenn unser Land Euch einmal unsere Unabhängigkeit verdankt, so darf der Name, den wir früher trugen, der Name Morgaz…
– Doch nicht mehr existiren, meine Mutter, vollendete Johann den Satz, für ihn giebt es keine Rehabilitation. Man kann ihm die Ehre nicht wieder geben, so wenig, wie man die Patrioten wieder zum Leben erwecken kann, die der Verrath unseres Vaters dem Schaffot überlieferte. Was wir, Joann und ich, thun, das geschieht nicht, um die an unserem Namen haftende Schmach abzuwaschen… Das, das wäre unmöglich!… Nein, für einen Handel wie diesen bemühen wir uns nicht. Unsere Bestrebungen gehen nur dahin, das unserem Lande geschehene Unrecht wieder gut zu machen, nicht das, welches uns selbst getroffen hat… nicht wahr, Joann?
– Ja, bestätigte der junge Geistliche. Wenn Gott auch vergeben kann, so weiß ich doch, daß das den Menschen versagt ist, und so lange die Ehre noch eine sociale Anforderung bleibt, wird unser Name zu denen gehören, welche die Verachtung der Allgemeinheit trifft.
– Man wird also niemals vergessen können?… sagte Bridget, die ihre Söhne auf die Stirn küßte, als hätte sie das untilgbare Schandmal darauf verlöschen wollen.
– Vergessen! rief Johann. Geh’ nur einmal nach Chambly, Mutter, und Du wirst sehen, ob die Vergessenheit…
– Johann, unterbrach ihn Joann schnell, schweig still!
– Nein, Joann… unsere Mutter muß es wissen!… Sie hat Seelenstärke genug, um Alles zu hören, und ich kann ihr nicht die Hoffnung auf Wiedererlangung allgemeiner Achtung, welche unmöglich ist, lassen!«
Und mit leiser Stimme, in abgebrochenen Worten, berichtete er, was nur wenige Tage vorher in dem Flecken Chambly, der Wiege der Familie Morgaz, und vor den Ruinen seines
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