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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wundern, daß in diesem Saale eine Bibliothek den ersten und den zweiten Platz ein Piano einnahm, auf dem mindestens einer der Söhne oder eine der Töchter französische Walzer und Quadrillen spielte, während die Anderen danach abwechselnd in heiterer Jugendlust tanzten.
    Die Bearbeitung jener Ländereien verlangte natürlich ein ziemlich zahlreiches Personal. Thomas Harcher hatte dieses aber in seiner eigenen Familie gefunden. In der That beherbergte der Pachthof von Chipogan keinen einzigen bezahlten Helfer.
    Thomas Harcher zählte jener Zeit fünfzig Jahre. Ein Acadier französischer Abstammung, gehörten seine Vorfahren zu jenen kühnen Fischern, welche ein Jahrhundert früher Neu-Schottland colonisirten. Er vertrat den vollständigen Typus des canadischen Landmanns, und zwar jenes, der sich in den Gefilden Nordamerikas nicht Bauer, sondern »Einwohner« nennt. Von hohem Wuchs, breiten Schultern, mächtiger Brust, kräftigem Gliederbau, großem Kopf, kaum ergrauenden Haaren, lebhaftem Blick, tadellosen Zähnen und ziemlich großem Munde, wie ihn der arbeitsame Landmann, der reichlichere Nahrung bedarf, immer hat, endlich von liebenswürdiger offener Physiognomie, welche ihm die warme Freundschaft seiner Kirchspielnachbarn sicherte – so erschien der Farmer von Chipogan. Gleichzeitig war er ein guter Patriot, ein unversöhnlicher Feind der Angel-Sachsen und jede Stunde bereit, seine Pflicht zu thun und nöthigenfalls mit seiner Person einzutreten.
    Im ganzen Thale des St. Lorenzo hätte Thomas Harcher vergeblich eine bessere Gefährtin seines Lebens gesucht, als seine Frau Catherine. Sie war jetzt fünfundvierzig Jahre alt, kräftig wie ihr Gatte, so wie dieser jung geblieben an Geist und Leib, vielleicht von etwas derben Zügen und weniger seinem Benehmen, dafür aber gutmüthig in ihrer Derbheit und willig zur Arbeit, mit einem Worte ebenso »die Mutter« wie Thomas Harcher »der Vater« in der umfassendsten Bedeutung des Wortes.
    Beide bildeten ein schönes Paar mit so unerschütterlicher Gesundheit, daß sie die beste Hoffnung haben konnten, dereinst zu den vielen Hundertjährigen zu gehören, deren Langlebigkeit dem canadischen Klima alle Ehre macht.
    Einen einzigen Vorwurf hätte man Catherine Harcher vielleicht machen können; denselben Vorwurf hätten aber alle Frauen des Landes verdient, wenn man den allgemeinen Aussagen Glauben schenken darf. Wenn die Canadierinnen gute Hausfrauen sind, so kommt das doch nur daher, daß ihre Ehemänner die Wirthschaft besorgen, die Betten zurecht machen, den Tisch decken, die Hühner rupfen, die Kühe melken, die Butter schlagen, die Pataten schälen, das Feuer anzünden, die Möbel abreiben, das Eßgeschirr waschen u.s.w.
    Uebrigens trieb Catherine diese Frauenherrschaft nicht bis aufs Aeußerste, eine Herrschaft, welche in den meisten Haushaltungen der Colonie die Männer einfach zu Sclaven ihrer Frauen macht. Nein! Um gerecht zu sein, müssen wir anerkennen, daß auch sie an des Tages Mühe und Last redlich theilnahm. Immerhin unterwarf sich Thomas Harcher gern ihren Wünschen und Launen. Doch welch’ schöne Familie hatte ihm Catherine auch geschenkt, von Pierre dem Führer des »Champlain«, seinem Erstgebornen an, bis zum letzten Baby von nur einigen Wochen, das am heutigen Tage getauft werden sollte!
    In Canada ist die Fruchtbarkeit der Ehen bekanntlich eine erstaunliche. Familien von zwölf bis fünfzehn Kindern sind ganz allgemein; solche, wo man deren zwanzig zählt, sind nicht selten, und daneben gibt es auch noch Familien von über fünfundzwanzig Abkömmlingen. Es sind das fast gar nicht mehr Familien, sondern Stämme, welche sich unter dem Einflusse patriarchalischer Sitten entwickeln.
    Wenn Ismaël Busch, der alte Pionnier Fenimore Cooper’s, einer der Helden des Romans »Die Prairie«, mit Stolz auf die sieben Söhne – die Töchter gar nicht gerechnet – hinweisen konnte, die seiner Ehe mit der gesundheitstrotzenden Esther entsprungen waren, welches Gefühl von Ueberlegenheit mußte dann Thomas Harcher erfüllen, den Vater von sechsundzwanzig lebenden Kindern, welche in der Farm zu Chipogan alle lustig emporwuchsen!
    Fünfzehn Söhne und elf Töchter jeden Alters – von dreißig Jahren bis zu drei Wochen; von den fünfzehn Söhnen vier verheiratet, von den elf Töchtern zwei unter der Haube. Und aus diesen Ehen gab es wieder siebzehn Enkel, was – wenn man Vater und Mutter hinzuzählt – eine Anzahl von zweiundfünfzig Abkömmlingen der Familie

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