Die Farbe der Träume
gemocht, jedoch gehört, hier in Neuseeland laufe man Gefahr, Skorbut zu bekommen, wenn man sie nicht trank.
»Strauße«, flüsterte sie.
»Strauße, Mrs Blackstone?«
»Ja. Ich wage gar nicht, es laut auszusprechen, weil die Menschen sich gern darüber lustig machen. Aber ich kann es Ihnen leise zuflüstern: Roderick ist von Straußen getötet worden.«
Nachdem Joseph fortgezogen war, um das Haus zu bauen, legte Harriet ihr Sammelalbum an. Sie redete sich ein, dass sie es als Geschenk für ihren Vater, Henry Salt (einen Erdkundelehrer, der nie weiter als bis in die Schweiz gekommen war), plante, doch sie wusste, dass sie es für sich selbst tat.
In ihrem ersten Brief an Henry Salt schrieb sie, sie glaube nicht, dass das Sammelalbum anfangs »viel unerhört Interessantes« enthalten werde, aber wenn das Lehmhaus erst einmal fertig sei und sie dort draußen, in der Mitte von Nirgendwo, wohnten, »dann finde ich bestimmt etwas, das Dich faszinieren wird«.
Zu ihrer Überraschung hatte sie in einem Laden in der Worcester Street ein wunderschön gebundenes Buch gefunden, mit cremefarbenen Seiten so steif wie gestärkte Kissenbezüge. Sie war versucht, sich ihren Namen in goldenen Buchstaben vorne in den Einband punzen zu lassen, aber Joseph hatte sie ermahnt, kein Geld für »irgendwelche überflüssigen Liebhabereien« auszugeben. Das Geld, das sie besaß, werde zum Kauf von Gemüsesamen, Federvieh, Zaunpfählen, Draht und einer Milchkuh benötigt. Sie wusste, dass sie sich das Buch eigentlich nicht hätte leisten dürfen, aber mit seinem Kauf setzte sie gewissermaßen einen Trennstrich zwischen ihr altes und ihr neues Leben.
Das Erste, was Harriet in ihr Buch legte, war ein Blatt. Sie hielt es für ein Ahornblatt. Es war mitten in der Tasmanischen See einfach vom Himmel aufs Schiff gefallen – jedenfalls war es ihr so vorgekommen. Sie nannte es »Blatt vom Himmel, auf der SS Albert «. Das zweite Objekt war das Etikett einer chinesischen Teedose, die sie in einem Geschäft gekauft hatte, das »Reads Kolonialwaren« hieß. Umrahmt von chinesischen Schriftzeichen, war auf dem Etikett ein Bild von zwei Reihern mit ineinander verschlungenen Hälsen zu sehen. Harriet fand es eigenartig und wunderhübsch. Sie schrieb darauf »Erster Teeeinkauf«.
Genau das fand sie an dem Album aufregend: dass es sichmit all den Details ihres zukünftigen Lebens füllen würde. Ihrem Vater schrieb sie:
In Christchurch habe ich nicht das Gefühl, als sei ich schon angekommen. Erst dort, wo Joseph ist, werde ich dem wahren Aotearoa begegnen, erst dort werde ich spüren, wie außerordentlich anders die Dinge sind. Erst dort werde ich flügellose Vögel sehen und Gletscher, die in der Sonne leuchten.
Um sich die Zeit zu vertreiben, während Lilian und Mrs Dinsdale auf der »besten Veranda« saßen und Limonade tranken, entwarf Harriet einen Gemüsegarten für das Lehmhaus. Sie hätte ihn gern mit einem Holzzaun eingefasst, aber ihr war bedeutet worden, Holz sei teuer und sie könnten sich Holz nur für Fenster und Türen leisten, für nichts sonst. Also gab sie ihrem Garten einen Zaun aus Steinen. Sie malte sich aus, wie warm die Steine sich in der Sommersonne anfühlen würden und wie eiskalt im Winter. In den Garten kamen Karotten, Pastinaken und Kūmara, Süßkartoffeln – ein Grundnahrungsmittel in diesem Land, wie Mrs Dinsdale erklärte, »so lebenswichtig wie Brot«. Zwischen ihre Erbsen, Bohnen und Salatköpfe zeichnete sie Reihen mit Löwenzahn. Sie hatte gehört, dass die Farmer in Neuseeland ihre Schweine nur mit Löwenzahnblättern und Schnecken fütterten und dass diese Schweine unglaublich robust seien. Es seien muntere, bewegungslustige Tiere mit borstigen, kecken Schwänzchen, und ihr Fleisch schmecke wie Kalbfleisch.
Auf Joseph und Harriets Farm würde es irgendwann Schweine geben, doch wo, fragte Harriet sich, sollten dann die Schnecken herkommen?
V
Unterdessen nahm das Lehmhaus um seinen steinernen Kamin herum Gestalt an.
Die eisernen Türangeln glänzten in der Hitze. Das Blechdach wurde aufgesetzt. Innen wurde die Erde angefeuchtet, gestampft und fest- und glattgeklopft, aber es gab keine separaten Zimmer, keine geschlossenen, privaten Räume, nur Trennwände aus aufgespanntem Kattun.
Joseph saß gegen die Lehmwand gelehnt, rauchte eine Tonpfeife und beglückwünschte sich dazu, dass er den richtigen Platz für das Haus gefunden hatte, hier, wo eine Nachmittagsbrise die Buchenblätter erzittern und den Kattun
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