Die Farben der Magie
gleichzeitig nahmen seine spezialisierten Sinne die Nähe von viel Geld wahr. Er erstarrte. Der Reisende ließ ihn los, zog ein kleines Buch hinter seinem Gürtel hervor und blätterte eilig darin. »Hallo«, sagte er nach einer Weile.
»Was?« erwiderte Hugo. Der Mann sah ihn groß an.
»Hallo?« wiederholte er etwas lauter als notwendig. Er sprach mit so sorgfältiger Artikulation, daß Hugo hörte, wie die Vokale ihren Platz einnahmen.
»Selber hallo«, antwortete er. Der Fremde lächelte, schob erneut die Hand in den Beutel und zog eine große Goldmünze daraus hervor – sie war sogar noch größer als eine ankhianische Krone im Wert von achttausend Dollar. Das Muster darauf sah der Blinde Hugo nun zum erstenmal, aber es fiel ihm ganz und gar nicht schwer, die Sprache der Münze zu verstehen. Mein gegenwärtiger Besitzer braucht Beistand und Hilfe, sagte sie. Du solltest ihm beides gewähren. Dann können wir fortgehen und uns irgendwo amüsieren.
Geringfügige Veränderungen in der Haltung des Bettlers sorgten dafür, daß sich der Fremde entspannte. Erneut warf er einen Blick in das kleine Buch.
»Ich möchte zu einem Hotel, Taverne, Pension, Gasthaus, Hospiz, Herberge, Karawanserei«, sagte er.
»Was, alles auf einmal?« entfuhr es Hugo verblüfft.
»?« entgegnete der Mann.
Hugo stellte fest, daß einige Marktweiber, Muscheltaucher und freiberufliche Gaffer interessiert zusahen.
»Nun, ich kenne eine gute Taverne. Genügt das?« Er schauderte bei der Vorstellung, daß die Goldmünze aus seinem Leben entkam. Hugo wollte sie in jedem Fall behalten, auch wenn Ymor den Rest beschlagnahmte. Und die Truhe, die den größten Teil des Gepäcks darzustellen schien… Sie erweckte den Eindruck, mit Gold gefüllt zu sein.
Der Vieräugige blickte in sein Buch.
»Ich möchte zu einem Hotel, Ruhestätte, Taverne…«
»Ja, schon gut«, unterbrach Hugo den Fremden hastig. »Komm!« Er hob eins der Bündel auf und ging mit langen Schritten über den Kai. Der Reisende zögerte kurz und folgte ihm dann.
Ein bestimmter Gedanke zog durch die Aufregung hinter der Stirn des Bettlers. Hugo hielt es für einen ausgesprochenen Glücksfall, daß er den Fremden einfach so zur Gebrochenen Trommel bringen konnte – Ymor würde ihn gewiß dafür belohnen. Andererseits: Sein neuer Bekannter wirkte recht freundlich, aber irgend etwas an ihm bereitete Hugo Unbehagen. Er überlegte angestrengt, fand jedoch keine Erklärung dafür. Es ging dabei nicht um die beiden zusätzlichen Augen, so seltsam sie auch sein mochten. Nein, es gab einen anderen Grund. Vorsichtig blickte er zurück.
Der kleine Mann schlenderte hinter ihm über die Straße und beobachtete seine Umgebung mit gebanntem Interesse.
Dann sah Hugo etwas, das ihn erschauern ließ.
Die große Holztruhe, die bis eben auf dem Kopfsteinpflaster gestanden hatte, folgte ihrem Herrn und neigte sich dabei von einer Seite zur anderen. Hugo bückte sich ganz langsam – um zu vermeiden, daß ihm eine plötzliche Bewegung die Kontrolle über seine Knie raubte – und spähte unter die Kiste.
Viele kleine Beine ragten nun aus ihr hervor.
Behutsam drehte sich der Blinde Hugo um und setzte den Weg vorsichtig zur Gebrochenen Trommel fort.
» S eltsam«, sagte Ymor.
»Er hatte eine große Holztruhe«, fügte der Rheumatische Wa hinzu.
»Wahrscheinlich ist er Kaufmann – oder Spion.« Ymor löste ein Stück Fleisch vom Schnitzel in seiner Hand und warf es hoch. Es hatte noch nicht den Zenit der Flugbahn erreicht, als aus einer finsteren Ecke des Raums ein Schatten heransauste und nach dem Brocken schnappte.
»Ein Kaufmann oder Spion«, wiederholte Ymor. »Ein Spion wäre mir lieber. Spione bezahlen gleich zweimal – weil man für ihre Entlarvung eine Belohnung bekommt. Was meinst du, Withel?«
Der zweitgrößte Dieb von Ankh-Morpork saß Ymor gegenüber, hatte das eine Auge halb geschlossen und hob die Schultern.
»Ich habe den Kahn überprüft«, erwiderte er, »ein freies Handelsschiff, das gelegentlich die Braunen Inseln anläuft. Die Leute dort sind Wilde und haben keine Ahnung von Spionen. Und Kaufleute stecken sie vermutlich in den Kochtopf.«
»Eigentlich sah er eher wie ein Händler aus«, warf Wa ein. »Abgesehen davon, daß er nicht dick ist.«
Flügel knisterten am Fenster. Ymor stemmte sich hoch, durchquerte das Zimmer und kehrte mit einem großen Raben zurück. Nachdem er die Nachrichtenkapsel vom Bein gelöst hatte, flog der Vogel zu seinen Artgenossen, die
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