Die Favoritin
weißbunten Fell wurde mir speiübel. Es war unser schönstes gewesen und mein Lieblingstier. Ich weiß noch, daß über uns ein Kondor kreiste und seinen großen Schatten warf.
Plötzlich zeigte der Vater meines Vaters mit dem Finger auf mich.
»Sie wird Accla!« rief er mit dröhnender Stimme.
Mein Vater stieß einen Seufzer aus, streckte die offenen Hände zur Huaca empor, sandte ihr Kußhände und eine Fingerspitze Wimpern, die er sich ausriß. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was das Wort Accla bedeutete, aber nach seiner Reaktion stellte ich mir etwas Außerordentliches vor.
Ich sehe die Szene noch heute vor mir, das kleine Mädchen, das ich war, so winzig unter der schwarzen Haarflut, die Faust an den Rosenmund gepreßt, der Blick ernst, voller Neugierde … und seine Unwissenheit rührt und schmerzt mich.
Die Nachricht verbreitete sich im Nu.
Der Curaca, das Oberhaupt unserer Ayllu, gratulierte meinem Vater. Er tätschelte meine Wange. Von da an wurde ich hochmütig. Ich betrachtete die anderen Mädchen, die nicht solch ein Glück hatten, von oben herab. Welches Glück, werdet Ihr fragen? Im Kopf meiner Mutter war es fast ebenso nebelhaft wie in meinem. Eines Morgens indes, als wir den Kot unserer Lamas einsammelten, den wir trockneten und als Brennstoff benutzten, richtete sie sich plötzlich auf: »Wenn du Accla bist, lebst du in Cuzco im Palast des Inka«, sagte sie. Vor Verblüffung stolperte ich und fiel hin, womit ich in einer weit glanzloseren Wirklichkeit landete.
Im fünften Monat des Jahres feierten wir das Aymoray, das Maisfest. Nachdem wir unseren Anteil von der Ernte abgezogen hatten – dem Inka und unserem Vater der Sonne gebührten zwei Drittel unserer Ackerfrucht –, schütteten wir die dicksten Körner in große Körbe und trugen sie zum Speicherhaus.
Die ausländischen Handelsleute, die heute so zahlreich nach Peru strömen, können sich keine Vorstellung mehr davon machen, welche Überfülle an Waren in den riesigen Speichern lagerte, die einst die kaiserlichen Straßen und die Zugänge der Städte säumten: die Spanier haben sie in Gasthäuser verwandelt. All diese Waren, Lebensmittel, Wolltuche, Baumwollstoffe, Sandalen und Gerätschaften bildeten den Tribut, den jedes Familienoberhaupt dem Inka zu entrichten hatte; er war vorgesehen für die Bedürfnisse des Kults, den Unterhalt der Beamten, die Versorgung des Heeres und die Erfordernisse des Hofes zu Cuzco. In Notzeiten wurden Nahrungsreserven an die Bevölkerung ausgeteilt. Für den Inka zu arbeiten schützte uns vor dem Verhungern, eine Sicherheit, die es wohl kaum in anderen Ländern gibt, auch nicht in Eurem, Pater Juan!
War das Korn eingelagert und voller Ehrfurcht ein schöner Maiskolben in unseren Hütten aufgestellt, begann das Fest. Die Spanier finden unser Volk schweigsam. Sicher schnüren sich beim Anblick eines Weißen die Münder, Ohren und Mägen zu, aber wie fröhlich waren damals unsere Bauern! Mein Vater war ein Meister der Worte. Er kannte viele und wußte sie zu Sträußen zu winden, die er in die gebannte Zuhörerschaft warf. Er war auch ein unermüdlicher Tänzer, nur die Chicha vermochte ihm die Beine wegzuziehen!
Während dieses Maisfestes kehrte meine Schwester Curi Coylor zu uns zurück. Sie hatte im Vorjahr ›auf Probe‹ geheiratet. Wie ich es bereits dem Bischof von Cuzco zu erklären versuchte, scheint mir dies ein sehr weiser Brauch, denn unseren Männern kommt es mehr auf ein paar kräftige Arme an, die ihnen bei der Feldarbeit helfen, als auf ein Jungfernhäutchen, außerdem ziehen sie eine schon erfahrene Frau ohnehin vor.
Ich liebte meine Schwester sehr, obwohl wir uns nicht ähnlich waren. An unserer Mutter erkannte man bereits, wie Curi Coylor einmal aussehen würde, wenn ihr die Härte des Lebens ihre Frische und ihre runden Wangen geraubt hätte. Aber sie war lustig, sehr gutmütig, und unser Altersunterschied – meine Eltern hatten vor meiner Geburt zwei Knaben verloren – gab mir die Freiheit, sie zu tyrannisieren. Ihr ahnt es vielleicht schon, Pater Juan, die ständigen Ermahnungen zu Demut und Gehorsam, die unser Geschlecht beugen, lagen mit meinem Charakter nicht selten im Streit.
Der entscheidende Tag nahte.
Im November, so hatten meine Eltern es angekündigt, sollte ich mit ihnen nach Amancay gehen, unserer Provinzhauptstadt, und an dem Gouverneur oder seinem Abgesandten, dem Huarmicuc, mit anderen acht- bis zehnjährigen Mädchen vorüberziehen, damit er
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